Linolschnitt

Linolschnitt

Montag, 15. Dezember 2025

SGW-Vortrag im BWZT Wattwil, 10. Dezember

"I am Switzerland" = neutral

Einführung ins Thema Neutralität und Tradition der Volksbildung

Der bekannte Journalist Sebastian Ramspeck in Wattwil spricht über die Schweizer Neutralität im Rahmen der Vortragsreihe der Sonntagsgesellschaft Wattwil (SGW).

Dank der Wattwiler Sonntagsgesellschaft (SGS) bekommt man gegen einen kleinen Beitrag für die Mitgliedsschaft oder günstiger Eintrittskarte immer wieder Gelegenheit in einer kleinen Schweizer Landgemeinde national und international bekannte Persönlichkeiten über Weltgeschehen, Politik, Naturwissenschaften und andere Echt-News zu hören und Fragen zu stellen. Im Dezember sprach der Journalist Ramspeck zum Thema "Neutralität und Weltunordnung".  Er bezog sich vor allem auf völkerrechtliche Aspekte des umfassenden Themas Neutralität im sich ändernden Umfeld. Der nächste Vortrag der SGW in der Wattwiler Berufschule BWZT ist am 14. Januar 2026 mit Roger de Weck zu "Journalismus und Humanismus in der Medienwelt" 


Die Sonntagsgesellschaft Wattwil (SGW) wurde 1828 gegründet, geht aber auf eine viel ältere Tradition zurück: Volksbildung  als Instrument zur Bewältigung von wirtschaftlichem, politischem und gesellschaftlichem Wandel, wie wir es jetzt erleben. Solche Vorträge zu Kultur, Naturwissenschaften, Ingenieurswesen in der Freizeit organisierten ab dem 18. Jahrhundert Arbeiter der Familienunternehmen, die die Industrialisierung begründeten. Am Sonntag, wenn die Arbeit ruhte, luden sie sich Wissenschaftler und Gelehrte ein für neue Ideen, Allgemeinbildung und Ingenieurswissen, als Grundlage für die Innovation, der Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmes und der Region in der es angesiedelt war. Auch in den Grossstädten Paris und New York wurden im 18. Jahrhundert am Sonntag solche Vorträge abgehalten. Das Familienunternehmen, die Unternehmerfamilien und ihre Arbeiter, in Wattwil vor allem die Familie Heberlein und die Heberlianer, waren auch Vorreiter der heute wieder wichtigen regionalen Wirtschaftsentwicklung, sodass auch andere Bürger, die in der Gemeindeverwaltung, Politik und Wirtschaft engagiert waren, einbezogen wurden.

Die Sonntagsgesellschaft von Wattwil war eine überkonfessionelle Körperschaft, bei der sich Bürger am Sonntagabend in Gastwirtschaften trafen um aktuelle Probleme in der Gemeinde zu besprechen, sich auszutauschen. Für bedeutende Projekte der Gemeinwirtschaft, luden sie sich Experten ein. Heute versteht sich die SGW als Institution zur Förderung der Kultur in der Region mit Vorträgen zu Kunst, Natur- Sozialwissenschaften und Politik.

Der Vortragende


Sebastian Ramspeck hat Internationale Beziehungen in Genf, Europarecht in Zürich studiert und ist Absolvent der renommierten Henri Nannen Journalistenschule. Er hat eine beachtliche Karriere als Journalist gemacht. Direkt nach dem Studium aber, arbeitete Ramspeck in der Bundesverwaltung, wie der Präsident der SGW den Vortragenden vorstellte.  Das Wissen, das Ramspeck an seinem Vortrag in Wattwil vermittelte, ist nicht angelesen, wie der Vortragende vorgestellt würde, wenn er an einer öffentlichen Vorlesung an einer Universität sprechen würde. Er dabei bei allem, was er ausführte. Er führt Interviews mit Ministern, dem Nato-Generalsekretär und befasst sich mit den Hintergründen, beherrscht das Handwerk des Journalisten, der sogenannt vierten Gewalt der Demokratie. 

Die Stuhlreihen im Berufs- und Bildungszentrum Toggenburg (BWZT) waren voll besetzt, hauptsächlich mit denselben, die auch schon im Publikum der Vorträge der SGW waren vor 20 Jahren. Wegen dem natürlichen Alterungsprozess waren es deshalb vor allem Ältere. Sie bildeten somit in verschiedener Hinsicht den gesellschaftlichen Prozess der Veränderung ab, den der Vortragende in seinem Titel ansprach, den Wandel zur Unordnung, wozu auch der demografische Wandel gehört, was nicht im Vortrag angesprochen wurde. Ramspeck fühlte sich aber sichtlich wohl, vor einem solchen Publikum zu sprechen, beantwortete danach Fragen, die sein umfassendes Wissen sichtbar werden liess, entsprechend dem Grundsatz von Egon Erwin Kish (1885-1948), der den modernen Journalismus definierte und prägte:

"Ich kann nur schreiben über das, was ich weiss."

Der Vortrag von Sebastian Ramspeck gab Einblick in die Arbeitswelt des Journalisten, wie wichtig und interessant dieser Beruf ist, sodass es schade war, dass nur wenige junge Leute da waren, etwa Gymnasiasten und Berufsschüler, die sich den Beruf des Journalisten vorstellen könnten. Die vielen Älteren im Publikum waren dieselben, die schon vor 20 Jahren die interessanten Vorträge der SGW besuchten und selbst dort Vorträge hielten, wenn sie etwa von ihren Reisen in andere Länder berichteten, oder ein im Gebiet nieder gelassener Arzt einen Vortrag zu einem medizinischen Thema hielt. Viele Ältere denken mit, haben Erfahrung und stellen ein Potenzial dar, das unterschätzt wird ständig, wenn von der demografischen Entwicklung gesprochen wird.

Der Journalist Ramspeck den Begriff Weltunordnung im Titel seines Vortrags mit dem Rückzug der USA als Ordnungsmacht. 

Neutralität und Weltunordnung

Der mächtigste Mann der Welt, der US-amerikanische Präsident Trump, führe die USA in den Rückzug, machte Ramspeck aus als Hauptgrund dafür, dass die USA kein Freund der Schweiz, aber auch von Europa mehr zu sein scheint. Er zitierte die Unternehmerin und Nationalrätin Magdalena Martullo:


"Mehr denn je gilt heute das Recht des Stärkeren."


Alles orientiere sich daran, wer die Macht hat. Ein Grund für diesen Rückzug sei, dass die USA eigene Probleme habe. Schon unter Präsident Obama begannen die USA ihre Aussenpolitik weniger an Europa auszurichten, sondern in Richtung Asien und den Pacific. Ramspeck erwähnt auch die geänderte Weltwirtschaftsordnung. Damit ist gemeint die Abkehr vom System von Bretton Woods, das die westlichen Siegermächte dort an einer Konferenz 1944, noch vor Ende des Zweiten Weltkriegs, beschlossen haben, um für Handel und Stabilität, Marktwirtschaft gegenüber Kriegswirtschaft zu sorgen nach dem Sieg über NS-Deutschland und Deutschland nach 12 Jahren NS-Terror-Regime, militärischer Aggression wieder zu einem friedlichen, demokratischen Land in der Weltgemeinschaft machen sollte. 

Das System von Bretton Woods begründete den US Dollar als Leitwährung und die US Währung an den Goldstandard band. Während die deshalb begründeten Institutionen wie der Internationale Währungsfonds (IWF) und die Weltbank noch existieren, wurde das System von Bretton Woods bereits 1971 aufgehoben durch den US-amerikanischen Präsidenten Richard Nixon (1913-1994). Dennoch blieb die Bedeutung der US Währung erhalten, was auch auf der sich gegenüber stehenden Supermächte USA und Sowjetunion zurück zu führen war, bis zum Ende der Sowjetunion und dem Kommunismus in Europa. Ramspeck sagte, dass die beiden Supermächte zwar eigene Interessen verfolgten, aber dabei auch für Stabilität sorgten. Ab Mitte der 2000er Jahre erstarkten dann neue Mächte wie China, die sich mit anderen sogenannten Schwellenländern zusammen schlossen zu BRICs (Brasilien, Russland, Indien, China).  China wolle die USA als Weltmacht mit den entsprechenden Verpflichtungen nicht beerben, sagte Ramspeck. Statt neuen Superpowern im kalten Krieg entstand ein Vakuum der Macht.

Fragilität im Umfeld und Druck


Dazu kamen neue Bedrohungen, wie Klimawandel und Atommächte, die sich nicht an den Atomwaffensperrvertrag  von 1968 halten. Die Schweiz hat im Übrigen diesen Vertrag nicht unterschrieben. Dass ein Land wie Nord Korea solche Massenvernichtungswaffen habe, sei die bittere Wahrheit, sagte der Vortragende. Im schlimmsten Fall könne es eine weltweite erneute Aufrüstung damit geben, zumal sich eingeprägt habe in Erinnerung an die erwähnte Stabilität der Weltwirtschaft während des Kalten Krieges, dass Atomwaffen Mittel der Abschreckung seien. Selbst Japan diskutiere darüber, Atomwaffen anzuschaffen. Dies obwohl es Leid und Schrecken des Atomkrieges real erlebt hat, mit Hiroshima und Nagasaki, dazu 2011 radioaktive Verseuchung durch die Havarie im Atomkraftwerk Fukushima. Die Abkommen zur Abrüstung von Atomwaffen laufen bald aus. Ob sie erneuert werden, sei nicht sicher, sagte Ramspeck.

Die neueren Wirtschaftszahlen und Analysen, etwa des IWF sprechen von guter, resilienter Entwicklung der Weltwirtschaft, aber mit Fragilität, was bedeutet, dass auch ohne Vorwarnung durch unüberlegtes Handeln, eine schwerwiegende Krise drohen kann. Auch das Völkerrecht ist in Frage gestellt, seit dem Einmarsch von Russland in die Ukraine und dem Krieg dort. Wobei Ramspeck sagte, dass der Russische Präsident Putin sich noch bemüht habe, eine Begründung mit der UNO Charta, während Präsident Trump sich an gerade gar nichts mehr halten wolle, weder Völkerrecht noch Handelsrecht, noch alte Freundschaften und Allianzen in der Aussenpolitik. In einem solchen Umfeld von Unsicherheit und Fragilität, wo Freunde nicht mehr Freunde sind, Druck ausgeübt wird, auch wegen der Neutralität, müsse sich die Schweiz nun mit ihrer Neutralität behaupten. Dabei stellt sich zuerst die Frage, was Neutralität überhaupt ist. Denn, wie Ramspeck sagte, verstehe jeder etwas anderes darunter, was man daran sehe, dass der Begriff kaum je für sich stünde, sondern meist mit einem Eigenschaftswort davor: 

Die Neutralität ist bewaffnet, immerwährend, wertebasiert, kooperativ, anständig, zählte Ramspeck auf. Der Begriff ist also schwammig und ungenau. Im Ausland dagegen ist die Schweiz fest verbunden mit dem Begriff der Neutralität. Ramspeck sagte, dort gebe es die Redewendung bei Streitigkeiten, wenn sich jemand heraus halten will:

"I am Switzerland"

Gerade wurde in der Schweiz eine Initiative eingereicht, um die Neutralität besser in der Verfassung zu verankern. So führte der Vortragende erst einmal ein in den Begriff.

Geschichte und Bedeutung der Neutralität für die Schweiz

Laut Ramspeck entstand die Idee der Neutralität im 17. Jahrhundert während dem Dreissigjährigen Krieg 1618-1648, der als Religionskrieg zwischen Katholiken und Protestanten begann, sich auf die Vormachtsstellung zwischen den Grossmächten Frankreich und den Habsburgern in Österreich und Spanien und viele anderen Konflikten regionaler Territorialstreitigkeiten und Erfolgen ausweitete und grauenhaftes Leid der Zivilbevölkerungen, Verarmung und Niedergang von ganzen Wirtschaftszweigen verursachte. Neutralität war damals vor allem ein innenpolitisches Thema, um die eigene Bevölkerung zu schützen vor fremden Kriegsmächten und wegen der Mehrsprachigkeit der Schweiz, sagte Ramspeck. Noch im Ersten Weltkrieg tendierten die Französisch sprechenden Schweizer dazu, Frankreich zu unterstützen, die Deutsch-Schweizer standen den Deutschen näher. Heute bezieht sich die Schweiz auf die Definition der Neutralität nach dem Abkommen von Den Haag von 1907. Ramspeck sagte, die Schweiz sei das einzige neutrale Land, das seine Neutralität darauf beziehe, und, dass die Schweiz deswegen schon angegriffen worden sei. 

Denn die Haager Landkriegsordnung von 1907 erlaubt explizit den Einmarsch und die Besetzung von Gebieten anderer Länder. Auch ist sie entstanden vor dem Ersten Weltkrieg als erstem modernen Krieg mit Kriegswirtschaft, von hybriden Bedrohungen, Drohnenkrieg und Wirtschaftssanktionen in einer global vernetzten, digitalisierten Wirtschaft heute mit polarisierten, fragmentierten Bevölkerungen, ganz zu schweigen. Zum Beispiel schreibt die Haager Landkriegsordnung vor, dass ein neutraler Staat keine der kriegsführenden Parteien bevorzugen darf. Wo die Schweiz durch stramme antikommunistische Haltung im Kalten Krieg eindeutig auf der Seite der USA und Westeuropa war und trotzdem neutral im Sinne der Haager Landkriegsordnung, lässt sich das heute nicht mehr so klar einordnen. Sebastian Ramspeck schloss, wie auch auf der Folie im Bild: 


"Die Schweiz war immer konsequent und dogmatisch neutral, reagierte aber aber pragmatisch, wenn sie unter Druck gesetzt wurde."



Der Journalist und Experte für Völkerrecht und internationale Beziehungen sagte, er habe in seinem Vortrag vor allem den historischen und völkerrechtlichen Aspekt der Neutralität heraus arbeiten wollen. In der Realität ist die Schweizer Neutralität viel komplexer. So spielen zum Beispiel die humanitäre Hilfe, die die Schweiz leistet, die Friedensförderung, die Mitgliedschaft in internationalen Organisationen, die für Menschenrechte einstehen, etwa der Europarat, und für Sicherheit sorgen, etwa das Shengen Abkommen, Entwicklungszusammenarbeit und vieles mehr eine Rolle. Der Druck auf die Schweizer Neutralität kommt vor allem von Abhängigkeiten, aufgrund von wirtschaftlicher Verflechtung und weil die Schweiz ein kleines Land ist, dass sich im Ernstfall ohne Partnerschaften nicht verteidigen kann. Aus meiner Sicht kommt Bundesrat Cassis, von dem der Begriff partnerschaftliche Neutralität stammt, am Nächsten dem, was die Schweizer Neutralität in der heutigen Situation ausmacht. Seit mindestens 400 Jahren hat sich die Schweizer Neutralität bewährt, sodass man sie nicht aufgeben sollte, auch unter Druck. 












Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen