Begegnung mit der Vergangenheit
Drehorgeln, alte Autos und Motorräder, Fotoflohmarkt. Drei traditionelle Events in Einem.
Wie früher: Kleidung, Autos Drehorgeln im Markt-Städtli Lichtensteig, Kanton St. Gallen, Schweiz. |
Der verklärte Blick zurück in die Vergangenheit, Nostalgie auch für mich, in Erinnerung an mein früheres Leben als Lokaljournalistin, als ich jeweils an drei Veranstaltungen mit Kamera und Schreibblock erschien an jeweils drei Veranstaltungen, die jedes Jahr das Markt-Städtli Lichtensteig belebten, verbunden mit Lichtensteiger Persönlichkeiten: Das Drehorgel-Treffen von Fredy Künzle (1954-2016), dem Sammler von mechanischen Musikanlagen, der legendäre Fotoflohmarkt und der Markt für Ersatzteile und Zubehör für alte Motorräder. Neu dazu gekommen sind: Oldtimer Autos und Vorführungen alter Feuerwehrgeräte. Es folgen Impressionen, Bilder, erstmals Videos und kurze Texte.
Erstmals erwähnt 1228, bekam Lichtensteig 2023 den Wakkerpreis des Schweizer Heimatschutzes für kulturelles Erbe. Lichtensteig war ab dem Mittelalter Markt, hatte einen Stadtrat, Gericht und Münzrecht, eine Goldschmiede, in der der Mathematiker Jost Bürgi (1552-1632) in die Lehre ging. Goldschmiede gründeten die ersten Banken, indem sie ihre Tresore für das Gold vermieteten an Kaufleute, die dort ihre Münzen einlagerten, dass sie vor Diebstahl geschützt waren. Auftakt für weitere Recherchen war ein Besuch im Toggenburger Museum. Dort sind zwei Grabsteine mit Wappen der Statthalter der Grafen von Toggenburg. In den revolutionären Bestrebungen von 1798, die eine Rolle spielten in der Gründungsgeschichte der Schweizer Demokratie, war Lichtensteig während kurzer Zeit Freistadt, dann Teil des Kantons Säntis der Helvetischen Republik.
Wirtshausschild im Toggenburger Museum zur Revolution von 1798. Für kurze Zeit war Lichtensteig selbsternannte Freistadt, dann gehörte das Städtli zum Kanton Säntis in der Helvetischen Republik. |
Während die Agrar- und Bauernrevolutionen des 16. und 17. Jahrhunderts und die sozialen Proteste der Arbeiterbewegung im 19. und 20. Jahrhundert Gegenstand historischer und sozialwissenschaftlicher Forschung waren, sind die Protestbewegungen des 18. Jahrhunderts im Zusammenhang mit der französischen Revolution weniger gut erforscht. Sie sind eine historische Grundlage für die Entwicklung der Schweizer Demokratie und die heute zu Tage tretenden Schwierigkeiten im Finanzausgleich, der Aufgabenteilung zwischen Bund und Kantonen, im Rechtssystem und bei der Finanzierung von Verteidigungsausgaben in der Schweiz heute. So weit zu den Vorbemerkungen. Das Mädchen im Video unten spielt auf ihrer Drehorgel das bekannte Lied von Macky-Messer aus der Dreigroschenoper von Bert Brecht (1898-1952). Kurt Weill (1900-1950) schrieb die Musik. Das Werk wurde 1928 uraufgeführt in Berlin und wurde zum Theater-Hit der 1920er Jahre.
Drehorgeln
In der Zeit vor Plattenspieler, CD und Spotify kam die Musik für Tanz, Unterhaltung und kauffördernder Berieselung beim Shopping entweder von leibhaftigen Musikkapellen, oder von mechanischen Musikmaschinen. Geschichte und Beispiele der mechanischen Musikindustrie, die ab dem 19. Jahrhundert eine bedeutende Industrie war, kann man in den Führungen in Fredys Mechanischen Musikmuseum in Lichtensteig erfahren. Weil es damals keine Sozialversicherung gab, war das Drehorgelspielen in den Städten des deutschen Sprachraums auch eine Möglichkeit für Taglöhner ohne Auftrag, Arbeits- und Erwerbslose, sich ein Zubrot zu verdienen. Kriegsversehrte Invalide der preussischen Armee erhielten nach ihrer Wiederherstellung im Lazarett statt einer Rente eine Drehorgel geschenkt, damit sie sich ein Almosen erbetteln konnten mit ihrer Drehorgel. Die meisten konnten sich eine eigene Drehorgel nicht leisten, sondern mieteten sie. Zentrum des Drehorgelbaus war Berlin. Die Drehorgelspielerin am Nostalgietag in Lichtensteig mit dem Berliner Bär reiste kam tatsächlich aus Berlin. Es gibt verschiedene Systeme des Drehorgelbaus, um die Musik mechanisch zu konservieren. Sie haben sich weiter entwickelt. Am Nostalgietag waren verschiedene Systeme zu sehen.
Links alte Orgel mit Walze. Rechts Spieldose mit Lochscheibe zum Wechseln. |
Auf dem nächsten Video spielt der Drehorgelspieler auf der Bühne einen bayerischen Schuhplattler, was die Zuschauer zum Tanzen anregt. Im Vordergrund das ältere Paar in altertümlicher Kleidung aus Filz.
Ich gehe weiter zum Fotoflohmarkt auf dem Goldigen Boden. Der Lichtensteiger Fotoflohmarkt war vor dem Aufkommen der digitalen Fotografie, als sich viele nur einmal im Leben eine Kamera leisteten, Sammler, Hobby- und Profifotografen von nah und fern kamen, um ein europäisches Ereignis.
Fotoflohmarkt
Hobbyfotografen der gehobenen Klasse und Profis suchten hier nach günstigen Angeboten von Leica Objektiven und Sammelobjekten. Nachdem die meisten Leute umstellten auf Digitalfotografie und auch die Kameras der Handys immer besser wurden, gab es eine Flaute. In diesem Jahr war das Angebot wieder grösser. Erstens gibt es jetzt doch eine ansprechende Auswahl an digitalem Fotozubehör. Ausserdem findet die analoge Fotografie mit Film wieder Gefallen bei Liebhabern der speziellen Hobbies mit spezieller Community im Internet.
Alte Mittelformat Kameras. |
Meine erste Kamera war eine Voigtländer Mittelformat Kamera im gleichen Stil. Meine Freundin auf der Fahrradtour nannte sie die Waschmaschine. Praktisch war an ihr, dass es einfach war, mit dem Selbstauslöser Fotos von uns beiden zu machen. Man musste sie nur an einen Ort hin stellen, von oben in den grossen Sucher schauen, dass man sich gut merken konnte, wo man sich hinstellen oder setzen muss, damit man auf dem Foto dann richtig platziert war. Meine Voigtländer war von meinem Grossvater. Mein Jugendfreund, der Fotograf gelernt hatte, sagte in den 1980er Jahren, dass die damals neuen Kameras keine so gute Optik hatten wie diese alte Mittelformatkamera. Meine Mutter hat damit viele Fotos gemacht, die sie dann ohne zu vergrössern im Zahnarztlabor selbst entwickelte, dass sie nur die wirklich guten Bilder vergrössern liess. Leider habe ich davon nichts mehr, wegen der Erbfeindschaft. Auch Bildbände vergangener Grössen der Fotografie findet man an den Ständen Goldenen Boden.
Fotobände und altes Familienfoto |
Neben nostalgischem Foto Nippes waren auch Fotobände, Retrospektiven namhafter Fotografen an den Ständen zu finden. Lange schon knipse auch ich fast nur noch mit einer kleinen Pocket Kamera. Auch mit meiner Systemkamera mit Wechselobjektiven fotografiere ich fast nur noch mit Automatik. Die beiden sind derart computerisiert, dass man alles selbst programmieren müsste. Was habe ich mich da früher bei der Lokalzeitung bemüht mit Einstellungen, Kursen und Studium von Fotografiebüchern, bis ich im Theater mit dem Bühnenlicht, bei Lampionumzügen gute Fotos machen konnte. Ich kaufte mir dann 2004 die erste digitale Spiegelreflex-Kamera und ein lichtstarkes Normal-Objektiv dazu, das mehr kostete als die Kamera, die ja damals auch noch recht teuer war. Auch einen neuen Laptop brauchte ich, weil der alte zu schwach war. Das Steueramt änderte dann meine Steuererklärung ab, sodass ich diese Arbeitsmittel nicht abziehen konnte von den Einnahmen. Die Begründung war, dass meine Arbeit Einkommen aus Privatvermögen sei. Ich Wenn ich dafür eine Kamera bräuchte, sollte sie die Zeitung bezahlen, obwohl ich freie Mitarbeiterin war. nahm das damals noch wenig Ernst. Antisemitismus kannte ich in meiner ganzen Jugend und im normalen Umgang nicht. Wobei solche Bürokratismen eigentlich in normalen Zeiten eine Frage von Ausbildung und Führung in den Ämtern sind. Die Mitarbeiter müssen sich an die Regeln halten, die so gemacht sind, dass Bürger:innen die Mittel und Motivation haben, ihre Arbeit zu machen und Steuern bezahlen von ihrem Lohn und Honorar.
Wie früher, waren die Fotografen mit ihren Fototaschen und Spiegelreflexkameras mit den langen Objektiven, auch da, um gute Fotos zu machen. Da gab es auch viele gute Motive, sei es von den vielen Frauen, die mit langen Kleidern und Hut herum liefen, oder den Feuerwehrmännern, die eine lange Leiter herum zogen und aufstellten.
Frauen in nostalgischer Kleidung und Feuerwehrleiter vor dem Toggenburger Museum. |
Weiter gab es alte Motorräder und Oldtimer, darunter auch typische Marken, die in meiner Kindheit und Jugend auf den Strassen fuhren.
Dieses alte Motorrad wurde in der Schweiz hergestellt. |
Noch ein paar alte Strassenflitzer. |
Mein Vater hatte als Student in den 1950er Jahren ein Motorrad, mit dem er nach England fuhr. Es war deshalb auch kein Problem, dass ich nachdem ich den Führerschein endlich hatte nach vielen Fahrstunden und einmal durch die Prüfung fallen. Es gab damals in Deutschland nur einen Motorradführerschein. Wenn man ihn hatte, durfte man auch mit den grössten und schwersten Maschinen fahren. Deshalb musste ich in der Fahrschule mit einem 500er Chopper fahren. Meine Füsse reichten damit im Stand, etwa an einer roten Ampel, bis zum Boden. Zum langsam fahren war es aber am Anfang schwieriger. In der ersten Prüfung verlor ich gleich am Anfang das Fahrschulauto mit dem Prüfer. Es bog vor mir in die Hauptstrasse ein. Ich musste noch mehrere Autos abwarten, bis ich eine Lücke im Verkehr fand. Das war in Wasserburg am Inn - auch ein verwinkeltes altes Städtchen mit Markt und Arkaden. Das Fahrschulauto, hinter dem ich her fahren sollte, verloren sah ich nirgends. Es war ein weisser Golf und von denen gab es damals Anfang 1980er Jahre viele, auch noch VW Käfer.
Das grüne Modell rechts hatte meine Tante in Dunkelblau, aber mit Schiebedach. |
In meiner Kindheit hatte fast jeder, der in Deutschland ein Auto hatte, einen Käfer. Der Käfer meiner Tante hatte auch wie bei dem hier ausgestellten Blinker zum Ausklappen. Die waren aber nicht mehr in Betrieb, sondern sie hat moderne Blinker anbringen lassen. Einmal fuhren wir zum Familientag der Württemberger Verwandtschaft. Da hatten wir einen Platten. Ein Mann hielt an, wollte behilflich sein. Den hat sie angeschnauzt:
"Den Reifen wechsle ich selbst! Ich brauche keine Hilfe."
Gesagt, getan, holte sie das Ersatzrad, den Wagenheber, kurbelte den Wagen hoch, schraubte das platte Rad ab, das Ersatzrad an und wir fuhren weiter und kamen noch rechtzeitig an. Das auch, weil mein Kinderfotoalbum verfälscht wurde, dass die Münchner Verwandtschaft den Familientag hatte. In Bayern macht man keinen Familientag. Meistens schlief ich während der Autofahrten damals aber im Loch, also dem Stauraum hinter den Rücksitzen. Meine Eltern hatten auch einen Käfer, einen etwas neueren. Wenn jemand rief:
"Papa fahr nicht so schnell!"
Dann fuhr mein Vater auf der Mittellinie in Schlangen, natürlich nur auf der übersichtlichen Quartiersstrasse und ohne Gegenverkehr. Ein bekannter Schriftsteller derselben Kriegskindergeneration sagte einmal, dass er von seiner Mutter am Ende des Zweiten Weltkriegs aus dem brennenden Berlin geführt wurde, und:
"Wer das erlebt hat, dem macht keine Krise mehr etwas aus."
Ich vermisse sie, diese Generation, mit ihrem Humor, ihrer Aufbauarbeit, um die Welt für uns, ihre Kinder, besser zu machen.
Hier noch der Wagen für den flotten Mann der 1970er. Ein Corvette. |
Noch ein letzter Oldtimer älterer Bauart sucht nach seinem Parkplatz.
Weisser Ford von anno dazumal. |
Tschüss, sagt der Drehörgler aus Berlin. Schliesslich hat er noch einen weiten Weg, bis er zu Hause ist.
No comments:
Post a Comment