Schafe schufen alpine Graslandschaften und erhalten den Lebensraum der Menschen
Alpwirtschaft und Transhumanz als Kulturgut, Erbe der Vorfahren, Klimaschutz
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Tausend Schafe ziehen auf einer Alp in Graubünden über die Hochebene. Früher waren es Zehntausende, die von den Winterweiden in der Po-Ebene in die Hochalpen zogen. Nur durch Beweidung bleibt das Gebirge stabil. Ohne Schafe sind Wohnen, Arbeiten, Ferien dort verloren. Der frühe Kapitalismus jagte Menschen von ihrem Land für Schafweiden, vor allem in Grossbritannien und Irland, mit sogenannten Clearances. Jetzt droht der Lebensfaden der Hirten und Herden im Alpenraum zu zerreissen wegen fasch verstandener Wolfsliebe.
Letzte Sonnenstrahlen leuchten am Nachmittag durch Spalten in den herauf ziehenden Gewitterwolken. Das gebündelte Licht der untergehenden Sonne lässt die Wasserläufe funkeln, die über die Hochebene zwischen Kies und Gras mäandrieren. Die Schafherde am Talrand setzt sich in Bewegung. Die Leittiere laufen voraus, immer schneller eilen sie den frischen Weidegründen entgegen. Hinten drängeln die Lämmer, bis auch sie los laufen können. Sprühregen setzt ein. Die Touristen, die ein Stück des Weges hinter her laufen, ziehen sich die Kapuzen ihrer bunten Outdoor-Bekleidung tief in die Stirn. Sie staunen, dass die Schafe von alleine laufen und nicht getrieben werden. Die älteren Schafe kennen den Weg und führen die Herde. Am Vormittag waren sie von der anderen Talseite herunter gekommen, verbrachten den Tag in einem Pferch hinter dem Bergrestaurant. Die schlachtreifen Lämmer waren gewogen und verladen worden, kranke und verwurmte Tiere behandelt. Die Alpverwaltung hatte für das Spektakel des Schaftriebs Touristen eingeladen, denen sich unser Schafhalterverein für die jedes Jahr durch geführte Wanderung zu einer Schafalp angeschlossen hat.
Verbindung von Mensch und Tier
Die Touristen spüren die Verbindung zur Natur, zur Schafherde. Immer wieder haben mir Menschen erzählt, dass der Anblick einer grossen Schafherde sie begeisterte, berührte, sei es in einem Kino-Film, oder wenn sie bei einer Überlandfahrt an einer Wanderschäferei vorbei kamen. Vielleicht ist die besonderer Beziehung unserer urzeitlichen Vorfahren noch angelegt in unseren Genen.
"Die Ehrfurcht vor dem Leben ist die höchste Instanz. Was sie gebietet, hat seine Bedeutung auch dann, wenn es töricht und vergeblich scheint."
Gegen Ende des Tals biegen die vordersten Schafe in der Herde ab. Es beginnt der Aufstieg. Wie Perlen an einer Kette klettern sie in langen Reihen den Berg hinauf. Hinten fächert sich die Herde auf. Bis zum Abend werden sie sich in den Hängen verteilt haben und fressen, sagt der Hirte. Auf dieser Schafalp ist immer ein Hirte bei der Herde, Tag und Nacht, zusammen mit seinem Hund. Im Sommer 2018 hatten sie hier noch keinen Wolfsriss zu beklagen, trotz Wolfsrudel in der Nähe. Bei der Überarbeitung dieses Posts im Februar 2023 hat sich die Situation mit dem Grossraubtier insofern entschärft, als dass eine gewisse Einsicht eingekehrt ist, dass die Wölfe deren zu viele sind. Per Abschuss sollen sie reguliert werden und auch die schwer zu ertragende Polemik der Wolfsbefürworter in Medien, im Internet und den Kommentarspalten der Agrarpresse sind verstummt. Deshalb habe ich den Anfang des ursprünglichen Textes nach Hinten verschoben. Ich mag nicht mehr, wie im ursprünglichen Text, von einem Kriegsszenario sprechen, seit inzwischen ein echter, schrecklicher Krieg Zerstörung und Tod nach Europa gebracht hat. Trotzdem mute ich den Leser:innen einen Exkurs über Fehlentwicklungen der Wolfspolitik zu. Den Abschnitt zur gesetzlichen Regelung des Wolfes habe ich gekürzt, da die politische Debatte sich weiterentwickelt hat und eine aktueller, ausführlicher und sorgsam recherchierter Artikel zu Wolf und Recht in Arbeit ist.
Alpwirtschaft ist bedroht durch Wölfe und der Gleichgültigkeit von Politikern
Entfremdete Städter applaudieren von Ferne, rufen nach Ödnis mit Wolfsgeheul. Aufgerissene Schafsbäuche, freigelegte Gedärme, wimmernde Lämmer treiben ihnen keine Träne aus den Augen. Sie sagen, das soll Natur sein, beschwören falsche Szenarien von ungestörter, brutaler Natur bevor der Mensch kam. Vielerorts treiben jetzt Schafbauern die wolligen Überlebenden hastig den Berg hinunter, wo sie doch erst vor kurzer Zeit hinauf gezogen waren. Auch Politiker beeindruckt das Gemetzel nicht. Sie verordnen immer neue Vorschriften, die die Lösung der Probleme noch schwieriger machen. Wissenschaftliche Erkenntnisse beeindrucken sie nicht, manche verurteilen sie sogar. Ein bekannter Klimaforscher, der in meiner deutschen Heimatgemeinde an einer Bürgerversammlung einen Vortrag hielt, sagte Politiker interessierten sich nicht für seine wissenschaftlichen Erkenntnisse. Selbst im EU-Parlament, wo die EU-Parlamentarier verpflichtet sind, sich seine Vorträge anzuhören, schickten sie Stellvertreter, oder sässen gelangweilt in den Bänken und hörten nicht zu, sagte der Klimaforscher. Er nannte eine Ausnahme: Altkanzlerin Dr. Angela Merkel, selbst Wissenschaftlerin, die als erste Umweltministerin Deutschlands das deutsche Umweltbundesamt aufgebaut hat.
Vorschriften und Schuldzuweisungen über Alles
Das Schweizer Parlament hat in einfacher Abstimmung, mit Überstimmung der verhältnissmässig grossen Minderheit bäuerlicher Vertreter:innen ein Gesetz erlassen, dass Schafhaltern vorschreibt, ihre Schafe mit einem Hochspannungszaun einzufrieden. Der Zaun muss mindestens 90 cm hoch sein, was ein Wolf locker überspringt, und Bodenabstand von maximal 20 cm haben. Solche Weidezäune sind ein Industrieprodukt, das in eben dieser Höhe angeboten wird, weshalb es seltsam ist, dass das gesetzlich festgelegt wird. Ausserdem müssen sie sogenannte offizielle Herdenschutzhunde der Schafherde mitlaufen zu lassen (Jagdverordnung Art. 10 quinquies 54 Zumutbare Schutzmassnahmen vor Grossraubtieren). Ich konnte nicht heraus finden, ob Herdenschutzhunde gelehrt und geprüft werden auf Gutmütigkeit gegenüber fremden Menschen, vor allem gegenüber Kindern.
Wölfe unterstehen internationalem Recht
Wölfe halten sich nicht an Staatsgrenzen und sind geschützt durch das Übereinkommen über die Erhaltung der europäischen wildlebenden Pflanzen und Tiere und ihrer natürlichen Lebensräume des Europarats, welches 1979 abgeschlossen wurde in Bern und für die Schweiz am 1. Juni 1982 in Kraft trat, genannt Berner Konvention. Damals lebten Wölfe in den unterzeichnenden Staaten in freier Wildbahn nur in Spanien und Italien. In den italienischen Abruzzen lebt der Italienische Wolf, eine seltene, besonders schützenswerte Unterart des Wolfes. Der Italienische Wolf ist heute bedroht davon, dass er sich mit streunenden Hunden und den Europäischen Grauwölfen kreuzt.
Erst mit dem Fall der Sowjetunion und dem Beitritt von ehemaligen Ostblockstaaten zur Europäischen Union (EU) begannen die Wölfe ihre Wanderungen Richtung Westen. Der erste Wolf wurde 1995 in der Schweiz gesichtet. In Russland werden bis heute Wölfe gnadenlos geschossen. Vor der Wende waren die Grenzen zur Sowjetunion auch in den kommunistischen Ländern mit Grenzbefestigungen und Wachposten besetzt (heute Naturschutzgebiet Grünes Band), und diese schossen jeden Wolf ab, sobald er in Sicht kam. Kein Wunder, flüchten die Wölfe in Gebiete, wo sie geschützt sind, seit die Grenzen offen sind und viele osteuropäischen Länder in der EU beigetreten und damit auch der Berner Konvention.
Ohne Management ist der Wolf eine Gefahr auch für sich selbst
Wie streng geschützt eine Art nach der Berner Konvention ist, ist in Listen im Anhang festgelegt. Der Wolf ist dort als streng geschützte Art aufgeführt. In den Artikeln 1 bis 8 sind die Ziele des Übereinkommens festgelegt, wozu auch das Verbot des Tötens, Fangens, Gefangenhaltens und weitere Schutzmassnahmen gehören. In Artikel 9 sind Ausnahmen explizit genannt und die Gründe dafür, etwa wenn durch eine geschützte Tierart schwerwiegender Schaden entstehen würde, an Kulturen, Nutztieren, Fischbeständen und Eigentum. Aus dem Kontext heraus und weil ich auch als Übersetzerin gearbeitet habe, ist vollkommen unverständlich, weshalb in der Schweizer Jagdverordnung festgelegt wird, wie viele Schafe und Rinder ein Wolf reissen muss, bevor er entfernt werden darf. Serious damage bedeutet schwerwiegende Gefahr. Weiter sind auch als Ausnahmegrund genannt öffentliche Gesundheit, Sicherheit und Gesamtinteresse, das über dem Schutz eines Wildtieres steht. Ziel ist die Erhaltung im Lebensraum, was schon der Titel suggeriert. Weiter ist das Wolfsmanagement verlangt. Ein Jäger in Norwegen, wo 2023, wie auch in Schweden und Finnland bis an die Grenzen des von der EU erlaubten Rahmens für den Abschuss gegangen wird, fragte in einem Fernsehfilm:
" Warum werden so viele Ressourcen verbraucht? Warum sollen wir die Landwirtschaft und die Wirtschaft opfern, die Misshandlung von hunderten von Tieren hinnehmen?"
Die Berner Konvention ist ein europäisches Übereinkommen des Europarats. Dieser ist nicht mit der Europäischen Union EU zu verwechseln. Seit 2009 ist die Berner Konvention für EU-Mitgliedsstaaten rechtlich verpflichtend. Wie bereits erwähnt, wird die Rechtslage zum Wolf in einem späteren Post ausführlicher behandelt. Meine persönliche Meinung ist, dass die Schweiz aufgrund der Berner Konvention verpflichtet ist, professionelles, wissenschaftliches Wolfsmanagement zu machen, die Bestände zu reduzieren und dafür zu sorgen, dass die Wolfspopulation nicht wieder explodiert. Der Begriff der Regulierung, wie er in der Schweizer Jagdverordnung steht und auch in den hitzigen politischen Debatten verwendet wird, ist unpassend. Der Wolf ist kein industrielles Verfahren, keine Maschine, die gesteuert werden muss. Er kann nichts dafür, dass er ist wie er ist. Er braucht die richtigen Bedingungen. Das erste Rudel der Schweiz im Calanda Gebiet jagte Hirsche, was mir einige Ortsansässige bestätigt haben, was an der Leitwölfin gelegen haben muss, die wusste, wie Hirsche jagen. Als ich diesen Artikel schon einmal redigierte und ergänzte im Jahr 2023 lebte sie noch im hohen Alter von 12 Jahren und war bei bester Gesundheit.
Aus einer vorhersehbaren Gefahr ist grosser Schaden entstanden
Man könne nicht viel mehr machen, als zu hoffen, sagte ein Schafbauer aus dem Emmental gegenüber der Schweizer Bauern Zeitung im September 2017, als es erst zwei Wolfsrudel gab in der Schweiz.
"Er jagt sie, bis sie vor Erschöpfung aufgeben und frisst sie dann an, ohne zu töten, bei lebendigem Leib."
Wolfsrisse werden in der Schweiz entschädigt, aber nur unter Bedingungen. Die Entschädigung deckt nicht den wirtschaftlichen Verlust. Kadaver werden oft nicht gefunden. Wegen Angst und Unruhe bei Raubtierpräsenz nehmen die Masttiere weniger Gewicht zu. Zuchttiere verlieren ihre Fruchtbarkeit, wodurch mehr Betreuung nötig ist. Auch das geht ein in die Wirtschaftlichkeitsrechnung, und die Überlegung, ob man das noch mitmachen will, oder besser die Schafhaltung aufgibt, besonders, wenn das Haupteinkommen mit anderen Tätigkeiten und Betriebszweigen erwirtschaftet wird. Der Beitrag, den der Schweizer Staat an Zaunmaterial und Herdenschutzhunde bezahlt, deckt nicht den realen Aufwand. Für einen Bauer, der 2022 einen Grossteil seiner Herde an den Wolf verliert, ist es schwierig Ersatztiere für den Wiederaufbau der Herde zu bekommen. In einem Bericht an das US amerikanische Parlament zum Wolfsmanagement, sagte der stellvertretende Leiter des US Departements für Fischerei und Wildtiermanagement, dass die Anerkennung der wirtschaftlichen Einbussen durch die Nutztierhalter unabdingbare Voraussetzung sei für Wolfsmanagement.
Schafe schaffen Kulturlandschaft
Die alpinen Hochweiden sind Kulturlandschaft, entstanden und gepflegt durch Jahrtausende von Beweidung durch Schafe. Ab der Steinzeit vor 6000 Jahren zogen Schafherden mit zehntausenden von Schafen im Frühsommer von den Winterweiden in der Po-Ebene bis unter die höchsten Gipfel der Schweizer Berge. Im 19. Jahrhundert schloss die Schweizer Regierung die Grenzen für die Schafeinwanderung aus Italien, um den Kühen und Rindern Platz zu machen, für die Herstellung von Käse für die Exportwirtschaft. Heute beweiden Schafe die obersten Matten im Hochgebirge und erfüllen dort wichtige ökologische Aufgaben. Die traditionelle Alpwirtschaft mit ihrer Verbindung zur Natur, ökologischem Gleichgewicht droht wegen der Agrarpolitik verloren zu gehen. Beim Aufstieg zum Bergrestaurant am Rande der Hochebene, wo später die Schafe herunter kommen würden, erblickten wir vom Wanderweg entlang der letzten Fichtewälder auf der anderen Talseite flache, kurz geschnittenen Wiesen auf dem Talgrund. Das kräftige Grün der Grasstoppel wies auf Sättigung der Böden mit Nährstoffen hin. Am Strassenrand reihten sich Siloballen.
Seit der Steinzeit kehren die Schafherden, steigen dem zurück weichenden Schnee nach bis in die höchsten Gefilde. Ihr Tritt verfestigt den Boden. Wer schon einmal einen Schafstall von Hand ausgemistet hat, weiss wie fest es unter Schaffüssen werden kann. Das ist schon richtig harte Arbeit, die Mistgabel in den festgetretenen Schafmist zu stechen und kleine Stückchen heraus zu reissen. Dazu beissen die emsigen Schafe das Gras ab, regen Wurzeln und Halme an, wieder auszutreiben. Schafe sind wählerische Feinschmecker. Sie picken sich das heraus, was ihnen schmeckt. Weil die Natur es so will, wachsen dann mit der Zeit genau die Pflanzen, die zu den Schafen passen. Gräser und Kräuter, denen es nichts ausmacht, dass auf ihnen herum getrampelt wird, die immer wieder nachwachsen, wenn sie bis auf den Boden abgebissen werden. So ist die Natur: Sie bildet Gleichgewichte, Symbiosen. Was zusammen passt, gesellt sich zueinander. Blüten und ältere, zähe Grashalme lassen die Schafe stehen, weshalb Schmetterlinge, Heuschrecken und anderes Getier sich dort wohlfühlen. Weiden aber zu wenige Schafe auf einer Fläche, überwuchern Gräser, die die Schafe nicht fressen den Boden, und Pflanzen, die jedes Jahr, oder jedes zweite neu keimen müssen aus Samen verschwinden. Das ist dann auch nicht gut. Sind es zu viele, fressen sie alles ab. Überweidung ist vor allem dort ein Problem, wo Europäer in der Kolonialzeit mit ihrer Art Landwirtschaft in einer über Jahrtausende entstandenen Kulturlandschaft zu betreiben, in natürlichen Landschaften fuhrwerkten, etwa in Patagonien. Dort richteten Schafe Schaden an, bis zur Wüstenbildung.
Weidemanagement schafft gutes Futter und Biodiversität
Die durch Schafbeweidung geförderten Pflanzen trotzen den unwirtlichen Bedingungen des Hochgebirges, mit kurzer Vegetationszeit und ständigem Wechsel aus Kälte und grosser Hitze. Manche Gräser keimen deshalb noch bevor die Samenkörner zu Boden gefallen sind, sie sind sozusagen lebend gebärend. Die Sonnenstrahlen im Hochgebirge sind intensiv und voller Energie. Deshalb ist das Futter auf den hohen alpinen Matten gehaltvoll. Ein Hut voll Gras von dieser Höhe genüge für die Ernährung eines Rindes, behaupten alte Älpler und Wildheuer. Schafe brauchen als kleine Wiederkäuer mit geringem Pansenvolumen nährstoffreiches Futter. Sie lassen dabei aber auch einiges stehen, was schon Blüten treibt, sodass auch Schmetterlinge und andere Insekten Nahrung haben. Die richtige Beweidung mit Schafen fördert die Biodiversität.
Im Winter krallen sich die kurz gefressenen Pflanzen mit ihren Wurzeln in den gefrorenen Boden. Wird nicht mehr beweidet, wachsen Büsche, langes Gras steht noch bei Wintereinbruch. Der Schnee friert daran fest, und wenn Lawinen kommen, reissen sie die Pflanzen mit den Wurzeln aus. Der Boden darunter rutscht mit. Für die Humusbildung und damit die Einlagerung von Kohlenstoff im Boden sind im Grünland die Wurzeln wichtig. Werden die oberen Pflanzenteile abgebissen, sterben die Wurzeln unter der Erde in gleichem Masse ab. Wie bei einem Obstbaum, der geschnitten wird, halten sich die Pflanzenteile oberhalb und unterhalb des Bodens im Gleichgewicht. Bakterien, Pilze, Bodenlebewesen bauen die abgestorbenen Pflanzenteile ab, scheiden Säuren aus, die das Gestein angreifen, verwittern lassen, Phosphor, Kalk, Magnesium und Kalium frei setzen. So entstehen Humus und Nährstoffe in Form von Gesteinsmehl, eine dünne Schicht krümeliger Boden. Mit der Zeit entsteht in dichtes Netz aus Wurzeln, Grasnarbe und Humus, das den von Natur aus instabilen Untergrund des felsigen Hochgebirges fest und stabil macht. Die wilde Naturlandschaft, wie sie die zurück weichenden Gletscher hinterliessen, war ständig im Fluss, mit Hangrutschen und Felsstürzen. Als dann die Schafe und ihre Hirten kamen, wich langsam, aber stetig die unwirtliche Natur der lieblichen Bilderbuchlandschaft, wie sie Wanderer, Moutainbiker und die Liebhaber schöner Bildkalender schätzen. Das Zusammenwirken von Mensch, Tier und Natur hat die Naturgewalt in den Alpen gezähmt.
Wanderweidewirtschaft Transhumanz
Archäologische Funde belegen, dass schon vor etwa 6000 Jahren Schafe in den Alpen weideten. Der Gletschermensch Ötzi, der vor mehr als 5000 Jahren lebte, trug Kleidung aus Schaffell. Die Menschen der Frühzeit nutzten der Schafe Milch, Fleisch und Häute. In dieser Frühzeit der menschlichen Zivilisation war man darauf angewiesen, dass die Schafe im Winter in klimatisch günstigen Gebieten weiden konnten, wo sie keinen Stall brauchten. Die Weide in den Bergen im Sommer war die Hauptwirtschaft, im Gegensatz zur heute üblichen Alpwirtschaft, bei der die Weiden in den Bergen zusätzliches Futter zum Talbetrieb bieten. Heute ist die Alpwirtschaft keine wirtschaftliche Notwendigkeit mehr für das Überleben. Ohne Subventionen und Raumplanungsgesetze, ohne traditionelle Bauernkultur wird sie aufgegeben.
Die Wolle der Schafe brachte Wohlstand und Macht
Später wurden Schafe wichtig für Wohlstand und Volkswirtschaft, wegen der Bedeutung der Wolle als Agrarrohstoff. Schafe machten die Klöster reich und mächtig. Sie besassen Schafe. Mönche, Nonnen und Angestellte scherten die Schafe, wuschen die Wolle, verspannen sie zu Garn, webten, knüpften Teppiche und Wandbilder. Ab dem 18. Jahrhundert, wurde die Wolle zur Handelsware mit Aufkommen der ersten Tuchfabriken. Die Schafe und ihre Hirten nahmen weite Wege auf sich, zu den Sommerweiden im Gebirge. Der Schafwandertrieb, die sogenannte Transhumanz, wird heute noch in vielen Gegenden der Welt praktiziert. In Österreich, Italien und Griechenland ist der Schafwandertrieb immaterielles Weltkulturerbe der UNESCO, begründet durch das Wissen, das diese traditionelle Bewirtschaftung mit sich bringt, die über Generationen von Hirten weiter gegeben wird, hinsichtlich
- ökologisches Gleichgewicht zwischen Mensch und Natur
- Umwelt
- Klima
- nachhaltige und effiziente Zucht
Noch heute ziehen mehrere tausend Schafe im Hochsommer vom Südtiroler Schnalstal zu den Hochweiden im österreichischen Ötztal, wo sie über Felsen, Schnee und Eis klettern. Manchmal müssen die Hirten sogar Schnee schaufeln, damit die Schafe weiter kommen.
Schafwanderungen in Spanien
Die berühmten spanischen Merinoherden mit ihrer feinen Wolle, verbrachten den Winter in der Nähe von Madrid. Im April begannen die Herden von je 10 000 Schafen ihre vierzig Tage dauernde Wanderung ins nördliche Gebirge. Die Schafherden unterschieden sich im Namen und in ihren Eigenschaften, wie auch in ihrer Wolle. Diese Unterschiede, die unterschiedlichen Qualitäten der Wolle war nicht gezüchtet, sondern sie entstand aufgrund der unterschiedlichen Bedingungen in den Weidegebieten mit dem ihnen eigenen Klima und Futterangebot. Die Escorial gehörten dem Spanischen Königshaus, Paula und Guadelupe Klöstern. Andere gehörten Adeligen. Ein Chefschäfer, genannt Mayoral und fünfzig Hirten begleiteten die Herden. Die Leittiere, die älteren Schafe, die den Weg kannten, die Witterung spürten, bestimmten den Zeitpunkt der Abreise. Wie auf der Bündner Alp führten sie die Herde bis in die weit entfernten Bergweiden. Alte Pilgerwege, etwa der Jakobsweg führen entlang der alten Schafpfade. Im Mai legten die Herden eine Rast ein, in der sie geschoren wurden. Am Rastplatz waren Gebäude für die Schur. Dort passten jeweils 20 000 Schafe gleichzeitig hinein. 150 Arbeiter waren beschäftigt mit Scheren, natürlich von Hand. Einer schaffte 8 Schafe am Tag. Die besonders feine Wolle der Merinoschafe wurde gebracht zu den Handelsplätzen in Flandern. Hier war die Tuchindustrie angesiedelt. Als dann die Industrialisierung Fahrt aufnahm, wurde England zum Marktführer der Wollindustrie. Der Wollsack im Britischen Parlament zeugt heute noch von der Macht der Schafhaltung. In Schottland und Irland wurde das alte Gemeinschaftsrecht der Commons, aufgehoben. Die Rechtsform der gemeinschaftlichen Nutzung in den feudalen Gesellschaften entspricht im deutschen Sprachgebrauch der Allmend, der Altdeutschen Genossenschaft, wie sie heute noch im Alpenraum teilweise Gültigkeit hat. Reiche Engländer nahmen in Schottland und Irland das Land in Besitz und machten aus den Äckern Schafweiden für die Handelsware Wolle. Die Kleinbauern und Pächter mit Subsistenzwirtschaft wurden zu Landlosen, dass viele gezwungen waren, nach Amerika auszuwandern. Bis der spanische König Karl III im 17. Jahrhundert seinem Schwager, dem König von Sachsen, Merino Schafe schenkte für den Aufbau einer eigenen Herde, war der Export von Merinoschafen aus Spanien verboten unter Androhung der Todesstrafe.
Zuerst gaben uns Schafe Milch
In der Frühzeit aber lieferte das Schaf in erster Linie Milch, dann Häute. Das angestammte Schaf der Alpen ist das Bergamaskerschaf. In der Schweiz stammt das schwarz oder braune Engadinerschaf von ihm ab, und die weissen Walliser Mutten, deren Ohren noch länger herunter hängen.
Manche vermuten, dass die Bergamaskerschafe ursprünglich einmal aus Nordafrika stammen. Der Schweizer Agraringenieur und Wissenschaftler Christian Cazzarin schreibt in seinem Buch Schafgeschichte & Lammgerichte (Spriessbürgerverlag, 2018), das ich an dieser Stelle empfehlen möchte, ausführlicher über die Engadiner Schafe, ihre Ursprünge und seine Liebe zu diesen Robustschafen aus.
Schafe gegen Klimawandel
Wegen dem Klimawandel werden die Hochalpen immer grüner. Die Vegetationszeit dauert länger und immer mehr Flächen, die früher ganzjährig mit Schnee bedeckt waren, sind im Sommer ohne Schnee, wie Schweizer Forscher anhand von Satellitenbilder nachweisen konnten. Dies bedeutet, dass das Alpengras mehr wächst und mehr Kohlenstoff aus der Atmosphäre einatmet. Ohne Beweidung allerdings, gibt der Boden insgesamt wieder mehr CO2 ab. Der Kohlenstoff aus dem CO2 aus der Luft ist das Gerüst des Humus. Um nicht gleich wieder freigesetzt zu werden durch Mikroorganismen, die wie wir Sauerstoff ein- und CO2 ausatmen, muss er geschützt werden, also fest verbaut im Humus. Das geschieht durch den oben beschriebenen Prozess mit den Schafen als Hauptakteuren. Es wäre also gerade in Zeiten von Klimawandel wichtig, die Beweidung mit grossen Schafherden beizubehalten und auszbauen. Die Schafe könnten profitieren von dem Mehrangebot an Futtergras. Ihr Tritt, Biss und Dung würde zusätzliche Humusbildung und damit die Speicherung des Kohlenstoffs bewirken. Die Wolle der Schafe besteht hauptsächlich aus Kohlenstoff, den sie über das Gras, das sie fressen, aus der Atmosphäre geholt haben. Hochwertige Produkte aus Wolle lassen sich nur herstellen, wenn die Qualität stimmt, was abhängig ist von der Schafrasse und der Zucht. Auch Haltung, Fütterung und Verarbeitung spielen eine Rolle. Gegenwärtig ist die Qualität der Wolle in der Schweiz schlecht und nimmt weiter ab. Die Verarbeitung der Wolle zu langlebigen Produkten und das richtige Weidemanagement können die Klimabilanz eines Schafbetriebs negativ werden lassen, was heisst, es wird nicht nur der CO2-Ausstoss gebremst, sondern auch bereits in die Atmosphäre verbrachtes vom Menschen ausgestossenes CO2 wieder zurück geholt. Wenn es also mehr Akzeptanz und Wertschätzung gäbe für die Schafhaltung, ihre kulturelle Bedeutung, ihre Produkte, ihre Wirtschaftlichkeit und Wertschöpfung, wäre die Welt ein besserer Ort.
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