Linolschnitt

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Friday, May 10, 2024

ZEITGESCHEHEN: Die Debatte (aktualisiert 14.5.2024)

Heraus gepickt und abgestochen

Gewöhnliche Sticheleien bringen zu wenig Aufmerksamkeit, her muss der Nazi-Vergleich


Multimedia Monodruck ZEITGESCHEHEN Polit-Zirkus mit den Spitzenkandidaten für die Thüringer Landtagswahl Björn Höcke (Afd, links) und Mario Voigt (CDU, rechts).  

Generationen nach der Überwindung zweier Diktaturen, mehr als dreissig Jahre Demokratie, Rechtsstaat, europäische Gemeinschaft. Deutschland hat ein Problem mit dem richtigen Umgang mit der Vergangenheit und dem Wissen darüber. Ein Politiker, der sagt, Alles für Deutschland, muss vor Gericht, darf offiziell als Nazi diffamiert werden. Ich habe mir die TV-Debatte der beiden Spitzenkandidaten für die Thüringer Landtagswahl auf Youtube angesehen, um einzuordnen. Im Zusammenhang mit der Geschichte der NS-Machtergreifung habe ich zum Gerichtsurteil vom 13.5. zu Verfassungsschutz und Afd ergänzt. Die wichtige Frage nach den Grundrechten, unter welchen Umständen diese aufgehoben werden dürfen, und wer wie darüber entscheidet, behandle ich später.




In der Fernsehdebatte nach US-amerikanischem Vorbild am 11. April 2024 stehen sich zwei Konservative gegenüber. Beide sind Landtagsabgeordnete in Thüringen, Vorsitzende ihrer Parteien und Spitzenkandidaten für die Wahl des Thüringer Ministerpräsidenten in diesem Herbst. Vorher stehen noch die Wahlen zum Parlament der Europäischen Union (EU) an. 

Der Anger der Thüringer Landeshauptstadt Erfurt - Früher der Markt für die Färbepflanze Waid, wodurch die Stadt zu Reichtum kam, bis der Dreissigjährige Krieg (1618-1648) die Industrie für den Blaudruck vernichtet hat.




Es war keine Debatte, sondern eher ein Doppelinterview, unfair, fast ein Verhör, bei dem die Moderatorin und der Moderator die Fragen stellte. Wie ein Kommentator bemerkte, kam meist Mario Voigt, 47, von der CDU zuerst dran und antwortete gut vorbereitet. Dabei brachte er frühere Aussagen seines Kontrahenten, auch dessen Zitate gleich selbst mit ein, sodass sich Höcke, 52, nur wenige eigene Meinungen und Positionen einbringen konnte, sondern sich rechtfertigen musste, erklären, klarstellen. Deshalb redete er zu viel  im Vergleich zu seinem Kontrahenten, wie die Moderatorin gegen Schluss anmerkte. Auf diese Weise gelang es dem CDU-Mann Voigt auch gleich, die richtigen Worte für politisch korrekte Aussagen für sich zu pachten, etwa: 

"Ich will das Beste für Deutschland"


Es liegt also nicht an Deutschland, sondern am Alles. Auch den Begriff Heimat nahm der gebürtige Thüringer Voigt für sich ein, mit Ausführungen zu Bratwurst und Gehacktem, dem Thüringer Ausdruck für MettwurstLetzteres bezog sich auf Höckes politische Kritik am deutschen Lieferkettengesetz. Der Afd-Politiker sagte, dass ein Metzger, der Brötchen mit Gehacktem an die Belegschaft der Opelfabrik liefere, einen Anti-Korruptionsvertrag haben müsse mit Opel, wegen der deutschen Umsetzung der entsprechenden EU-Richtlinie. Höcke nannte den Thüringer Ausdruck zuerst, ergänzte dann mit der überregional bekannten Gattungsbegriff Mett. Statt über das brisante Thema von Lieferkettengesetzen, Corporate Governance und Compliance zu diskutieren, wurde Fernsehredezeit verschwendet mit oberlehrerhaftem Zurechtweisen hinsichtlich ostdeutschem Lokalkolorit. 

Spiel mit dem Feuer


Voigt und die beiden Moderatoren liessen kaum etwas aus an Nazi-Propaganda, die sie dem Mann von der Alternative für Deutschland unterschieben konnten, ungeachtet der historischen Tatsachen des Nationalsozialismus und den politischen Aufgaben, die heute relevant sind, bei angespannter Wirtschaftslage, gesellschaftlicher Orientierungslosigkeit, bis hin zum Wiederaufleben des Antisemitismus. Das ist sehr gefährlich, da zum Beispiel für Extremismus Anfällige, in Internet und sozialen Medien Aufgehetzte, motiviert werden können, der Afd beizutreten, in der Erwartung rechtsradikale Neigungen ausleben zu können. Aber auch echte Rechtsradikale mit finanzkräftigen Unterstützern könnten die Partei unterwandern. Die Alternative für Deutschland hatte tatsächlich immer wieder das Problem von Mitgliedern, die sich mit rechtsradikaler Rhetorik und autoritären Tendenzen hervor taten. Mehrere Gemässigte haben aufgegeben dagegen vor zu gehen und die Partei Afd verlassen, etwa der Wirtschaftsprofessor Jörg Meuthen. Die gesetzliche Regelung in Deutschland erschwert zudem den Parteiausschluss von in dieser Hinsicht auffällig gewordenen Mitgliedern. Inzwischen haben vier Jugendliche einen SPD-Politiker beim Plakate kleben in einem anderen ostdeutschem Bundesland krankenhausreif geschlagen. In der Schweiz fuhr ein 15-Jähriger vom Land in die Stadt Zürich, kaufte sich im Supermarkt ein Steak-Messer und stach damit ein auf den ersten Mann mit Schläfenlocken und Hut, der ihm über den Weg lief. Das Messer verbog sich, was dem 52-jährigen Menschen jüdischen Glaubens das Leben rettete. In der Schweiz haben sich nach einer Radiomeldung die Jungparteien aller politischen Parteien zusammen getan für den Umgang mit Mitgliedern mit extremistischen Einstellungen. Das muss man zuerst erkennen können. Ein Merkmal echter Nationalsozialisten und Nichtentnazifizierter nach dem Krieg, war, dass sie mit Weisswaschstrategien und Lügen sich als rechtschaffene, nette Bürger präsentierten. Rechtsbrüche, Schuldenwirtschaft und Ausgrenzungsopportunismus, wie sie die Nationalsozialisten an die Macht brachten, sind mittlerweile in allen etablierten Parteien an der Tagesordnung, und ganz besonders in den Medien.

Besser zusammen arbeiten in der Mehrparteien-Demokratie


Beide Duellanten sind konservativ. Der gegenwärtige Ministerpräsident von Thüringen, Bodo Ramelow von der Partei Die Linke führt seit vier Jahren erfolgreich eine rot-rot-grüne Minderheitsregierung, was ohne die Einbindung der Opposition in die politischen Entscheidungen nicht funktionieren würde, sodass der politische Alltag beider Kontrahenten wahrscheinlich eher von Zusammenarbeit geprägt sein dürfte. Es gibt in Deutschland mehr Parteien als früher und neue gegründet. Das erschwert die Bildung von Koalitionen für Regierungen und das regieren. Es gibt Beispiele von anderen Ländern, etwa den Niederlanden und Belgien, in denen es Monate dauert, bis die Aushandlung von Koalitionsverträge abgeschlossen sind und die gewählten Regierungsmitglieder ihre Ämter als Minister antreten können. Die alte Regierung regiert dann kommissarisch weiter und die Bevölkerung hat trotz bekanntem Wahlergebnis keine Ahnung, wer sie regieren wird. Sind es dann drei Parteien unterschiedlicher Ausrichtung, wie jetzt die deutsche Ampelregierung, liegen sie ständig im Streit, oder handeln nach der einzigen Gemeinsamkeit, indem sie eine Droge mit einem unüberlegten Gesetz legalisieren, ungeachtet von Expertenmeinungen. In der Schweiz wurden bereits drei Bauern, die Hanf anbauten für medizinische Zwecke, gerichtlich verurteilt, weil sie sich nicht anders zu helfen wussten, als mit dem Schiessgewehr  Räuberbanden der organisierten Kriminalität abzuwehren, die sie auf ihrem Hof bedrohten wegen den Hanfpflanzen auf ihren Feldern. Selbstjustiz ist strafbar.

Keine Regierung ohne die geschähte Partei


Umfrageergebnisse legen nahe, dass in Thüringen eine Regierung nur mit Beteiligung der Afd möglich sein wird. Die Fernsehdebatte zwischen Björn Höcke (Afd) und Mario Voigt (CDU) warf in diesem Zusammenhang einige Fragen auf, insbesondere, da die Unfähigkeit demokratische Regierungen zu bilden massgeblich zum Scheitern der Weimarer Republik beitrug. Die politische Philosophin Hannah Arendt (1906-1975) und andere waren deshalb gegen eine parlamentarische Demokratie und für eine Räterepublik. Der erste Ministerpräsident des Freistaates Bayern, Kurt Eisner (1867-1919), wollte Räte und Parlament, sah aber keine Möglichkeit, eine entsprechende Verfassung auszuarbeiten, und wollte deshalb zurück treten, bevor er dann erschossen wurde von einem Antisemiten. Es folgt an dieser Stelle ein Exkurs zum politischen System der Schweiz. Damit könnte in Deutschland auch der Wählerwille umgesetzt werden, ob in Ampel-, Jamaika- oder gar einer Regierung unter Beteiligung von der Linken und der Afd, ohne komplizierte, nicht einzuhaltende Koalitionsverträge. Es würde dann auch keine Arbeitszeit und Energie verschwendet werden mit Nie-mit-denen-Erklärungen oder Rufen nach Neuwahlen, die nach deutschem Grundgesetz ausgeschlossen sind, wenn es sich nur darum handelt, dass gewählte Politiker sich nicht einigen können. Vergessen scheint auch das selbstverständlichste der Welt. Wenn jemand kandidiert für ein demokratisches Amt und gewählt wird, muss er seine Regierungsgeschäfte ausrichten zum Wohle seines Landes und dessen Bürger:innen, unabhängig davon, ob sie ihn gewählt haben, sonst ist er kein Demokrat. Deshalb sollten die Journalisten, die eine solche Debatte moderieren darauf schauen, dass über Inhalte debattiert wird. Demokratie ist gerade nicht, dass die Mehrheit der Minderheit befiehlt wo es lang geht. Demokratie ist nur so gut wie ihre Institutionen. 

Konkordanz-Demokratie wie in der Schweiz versuchen


In der Schweiz wählt das Parlament die Regierung, der Bundesrat heisst, aus den wichtigsten Parteien und dieser vertritt nach Aussen zu allen Geschäften einen gemeinsamen Standpunkt. Jeder Bundesrat steht einem Departement vor, dem zum Teil mehrere Ämter untergeordnet sind, für die andere Länder mehrere Ministerien haben. Das jeweilige Regierungsmitglied arbeitet für sich mit seinen Beamtinnen und Beamten, lässt sich zu Sachfragen Dossiers erarbeiten. Bei Geschäften, die Sachverstand benötigen, kann ein Bundesrat Expertengruppen beauftragen. Sie bekommen einen klaren Auftrag, für den sie dann konkrete Vorschläge erarbeiten müssen. Bevor Vorschläge für Gesetzesänderungen, neue Politikmassnahmen zur parlamentarischen Beratung gehen, müssen sie mit den anderen Regierungsmitgliedern ausgehandelt werden. Der Unterschied ist, dass es immer um die einzelnen Geschäfte geht. Nach Aussen tritt nichts über das Verfahren der Willensbildung der Regierung. Es sind sieben Bundesräte, sodass auch abstimmen können. Es gibt auch noch ein vorparlamentarisches System, die sogenannte Vernehmlassung, bei der eine Gesetzesvorlage zu ausserparlamentarischen politischen und gesellschaftlichen Akteuren und auch Einzelpersonen verschickt wird, die dann ihre Positionen, Verbesserungen und Ergänzungen einbringen. So könnte zum Beispiel die Afd in Thüringen das Bildungsressort übernehmen. Im Sommerinterview 2023 des Mitteldeutschen Rundfunks sagte Höcke, seine Partei habe sich dem politischen Schwerpunktthema Bildung verschrieben. In diesem Interview wandelte er die umstrittene Losung zu:

"Ich liebe Thüringen!"

Landschaft in Thüringen



Konkordanz im Regierungsalltag geht ohne Änderung der Verfassung oder der Gesetze. Die Schweiz war ursprünglich früher auch eine Mehrheitsregierung und Opposition. Zuerst wurden die katholisch Konservative in die Regierung genommen. Im Zweiten Weltkrieg 1943 der erste Sozialdemokrat. Heute regieren jeweils zwei Bundesrät:innen von SVP, FDP Sozialdemokraten und eine Bundesrätin der Partei Die Mitte.

Der Bildungspolitiker


Björn Höcke sagte gegenüber der Schweizer Weltwoche, dass er sich entschieden habe, in die Politik zu gehen, weil er als Lehrer betroffen war von den Auswirkungen schlechter Bildungspolitik und sich deshalb mit seinen Erfahrungen als Lehrer in die Bildungspolitik einbringen wollte. Er sagte im erwähnten Interview, dass er Gründungsmitglied der Afd war. Die Alternative für Deutschland wurde gegründet von Wirtschaftsprofessoren, die nach der Finanz- und Eurokrise 2008/10 gegen die Währungsunion mit der gemeinsamen Währung Euro waren und eine wirtschaftsliberale Programmatik vertraten, also Rahmenbedingungen für die Marktwirtschaft mit wenigen Eingriffen des Staates. Das Wirtschaftssystem der Nationalsozialisten und Rechtsextremen ist das der totalitären Wirtschaft.

Ich würde vermuten, dass Höcke in normalen Zeiten eher der liberalen Fraktion der SPD zugeneigt gewesen wäre. Diese gibt es nicht mehr. Neben der Debatte mit Voigt und dem Interview mit der Weltwoche habe ich auch das Sommerinterview 2023 vom Mitteldeutschen Rundfunk gesehen. Dort positionierte sich der Afd-Politiker als Bildungspolitiker, wie auch in der Debatte mit Voigt, sofern er nicht jeweils abgeklemmt wurde von den Journalisten und seinem Gegner. Woran es an deutschen Schulen hapert, ist relativ bekannt. Die deutsche Industrie sucht händeringend nach Fachkräften, weil zu wenige junge Leute entsprechende Ausbildungen gemacht haben. Hierin waren sich die Kontrahenten der Debatte auf Welt TV einig: Zehn Prozent der Schüler verliessen die Schule ohne Abschluss, was sich inzwischen auf drei Millionen junge Leute aufsummiert habe. Dazu kommen noch mehr, die den Schulabschluss geschafft, aber keine Berufsausbildung gemacht haben. Höcke machte Vorschläge, wie das Problem gelöst werden kann:

  • Nachqualifikation junger Leute ohne Schul- und Berufsabschluss, also Schulen und Ausbildungsplätze für Erwachsene.
  • Thüringen attraktiver machen für Rückkehrer und Familien.

Es seien in den letzten dreissig Jahren 1,5 Millionen Menschen aus Deutschland ausgewandert, sagte Höcke. Dazu auch viele Zugewanderte und Geflüchtete, die die Sprache gelernt und sich ausbilden liessen und dann mit ihren guten deutschen Fachdiplomen in die Schweiz, nach England oder Norwegen gegangen seien. Sie kämen, bildeten sich und zögen dann weiter, weil sie anderswo mehr verdienten. Die Moderatorin zeigte sich überrascht, der politische Kontrahent war skeptisch. Schliesslich begegnet man den Weggezogenen nicht mehr in Deutschland, in der Schweiz sehr wohl. Soviel zum von Voigt und den Journalisten hoch gehaltenen Faktencheck. Statistiken konsultieren sie offenbar nicht. Höcke hingegen benannte die Ursachen:

"Die Altparteien haben Thüringen zum Niedriglohnland gemacht."


Höcke spricht wie ein Lehrer, der bei den Schülern ankommt, etwa bei meinen 15-16-jährigen Mitschülern an der landwirtschaftlichen Berufsschule, in die ich als 20-jährige hinein geschneit bin. Wir hatten dort 1981 zwei Lehrer, einen älteren und einen junge. 

Ein gute Lehrer lehrt wie man lernt


Der Ältere lockerte den Frontalunterricht auf, indem er auf die Studenten schimpfte, die unter der Woche, wenn andere arbeiteten, am Baggersee lägen und faulenzten. Das war wahrscheinlich an mich gerichtet, die Abiturientin, die als zweite Frau im Landkreis eine Landwirtschaftslehre machte. Die überarbeiteten jugendlichen Landwirtschaftslehrlinge schliefen während dem Unterricht des älteren Lehrers reihenweise ein, weshalb dieser des öfteren den langen Stab nahm, der eigentlich da war, um auf die Leinwand mit den Projektionen des Hellraumprojektors zu zeigen. Dann nahm er einen grossen Schritt Richtung Schulbänke und stach einem, dem der Kopf schon zur Seite gekippt war, in die Rippen, bevor dieser vom Stuhl fiel. Der junge Lehrer hingegen, erzählte von seiner Lehre in Norddeutschland, wo er tagelang von früh bis spät mit einem grossen Traktor und der Scheibenegge fuhr auf Feldern, von denen man keinen Anfang und kein Ende sah. Auch hatte er einen kleinen Nebenerwerbsbetrieb, auf dem er zusammen mit seiner Mutter nach dem Unterricht arbeitete. Im Fach Pflanzenbau fragte er, wenn er zu einem neuen Thema kam, zuerst:

"Wie macht ihr das auf eurem Betrieb?"


Die Schüler rutschten auf ihren Sitzen herum. Hände schnellten in die Höhe, Finger schnipsten. Die Antworten waren dann meist so, wie man es nicht machen sollte. Für diese spezielle Schülergruppe war das aber wohl effektiv. Gierig sogen sie das Wissen um die richtige Produktionstechnik in sich auf, um dann heim zu gehen und dem Vater zu erklären, was er falsch mache, und wieviel sie in der Schule gelernt haben, um den Betrieb besser zu führen. Ich habe das erste Lehrjahr vor Beginn des Agrarstudiums gemacht, das zweite dann nach dem vierten Semester. Deshalb musste ich zwei Jahre später noch einmal zurück für die Zwischenprüfung. Da waren dann ganz andere Mitprüflinge. Sie waren so wie heute, sehr modern, aufgeschlossen und kompetent. Der frühere Lehrer Höcke spricht gerne im Jargon der Schüler, die man abholen und mitreissen muss. Im Sommerinterview sagte er zum Beispiel:


"Man kann nicht einfach die Tablets auf den Schülern abwerfen. Das Wissen muss in den Kopf rein."


Die Jugendlichen müssten sich das Wissen selbst erarbeiten. Das sei die Aufgabe des Lehrers, ihnen das beizubringen. Vielleicht liegen die Probleme mit dem Afd-Politiker daran, dass er eine Fachperson ist. Auch ich machte die Erfahrung, dass Lehrbuchwissen als Querulanten-Aktivismus ausgelegt wurde. Höcke sagte im Gespräch mit der Weltwoche, dass er viele Zuschriften bekommen habe von Historikern, die zum Nationalsozialismus mehr Kompetenz hätten wie er und geschrieben haben, dass Alles für Deutschland kein Slogan der SA gewesen sei. Ich halte das auch für sehr unlogisch. 

SA und Machtergreifung der Hitler-Partei 


Die Sturmabteilung SA war, wie der Name darlegt, ein paramilitärische Schlägertruppe der Nationalsozialistischen Arbeiterpartei NSDAP und Teil ihres linken Flügels, deren ideologischen Wortführer waren die Brüder Otto (1897-1974) und Gregor Strasser (1892-1934). Deshalb die Begriffe sozialistisch und Arbeiter im Parteinamen. Sie wollten die Wirtschaftskrise überwinden, Arbeitsplätze schaffen durch Planwirtschaft, wie auch Teile der klassischen Arbeiterbewegung von Sozialdemokraten und Kommunisten. Letztere hatten auch paramilitärische Schlägertruppen. Es gab Strassenschlachten zwischen allen dieser gewaltbereiten Gruppierungen. SA gegen Kommunisten. Kommunisten gegen andere Kommunisten. Strassers und die Führungsriege der SA gehörten zu den parteiinternen Gegner des späteren Führers Adolf Hitler (1889-1945). Er wollte Wirtschaft und Wohlstand nach der Krise wieder aufbauen zu einem totalitären System,  mit Ausgrenzung und Vernichtung von Juden, anderen als unwert angesehenen Menschen und ohne Gegner. Wohlstand sollte nur diejenigen geniessen, die sich der Ideologie unterordneten und sollte erreicht werden durch wirtschaftliche Macht, Monopole, finanziert durch Schuldenwirtschaft. Diejenigen, die keine gleichgeschaltete Massengesellschaft wollten, konnten, sofern sie nicht aufmuckten, als Sklavenarbeiter schuften. 


Mein einer Grossvater sagte nach dem Krieg, wie viele in Deutschland, er glaube, dass Hitler nichts gewusst habe von den Verbrechen seiner Anhänger. Mein anderer Grossvater, der Prokurist, sagte, wer Hitlers Werk Mein Kampf gelesen habe, gewusst haben, was er vor hatte. Hitlers Buch war ein Bestseller. Es wurde bei Hochzeiten und anderen Feierlichkeiten überreicht während dem Nationalsozialismus. Die Wenigsten haben es aber gelesen. Als es 1925 heraus kam, waren viele, die es gekauft haben, enttäuscht, weil sie erwartet hätten, dass Hitler von seinem Kampf als Putschist schreiben würde, welche Argumente er gehabt habe, die Regierung stürzen zu wollen, welche Fehler er der demokratischen Regierung ankreidete. Als sie dann sahen, dass es ein von anderen abgeschriebenes Traktat gegen Juden war, legten es die meisten weg und kümmerten sich nicht mehr. Ich habe Mein Kampf natürlich nicht gelesen und werde es auch nicht lesen. Der Prokurist hat das gewusst, dass es nicht einfach ein schlecht geschriebenes Hetz-Pamphlet war, weil er in den 1920er Jahren beruflich gegen die übergriffigen Wirtschaftsmächte kämpfen musste, verhindern, dass die Betriebe seines Unternehmens in die Hände dieser damals Spekulanten genannten Monopolisten kamen. Nach dem Krieg nahmen viele, die eben Mein Kampf nicht gelesen hatten, weil es ihnen zu grässlich war, die Meinung ein, dass es doch wegen diesem Buch war. Nach dem Krieg war Mein Kampf verboten bis vor wenigen Jahren, als das Urheberrecht ablief. Warum man es nicht einfach in der Versenkung liess, sondern es nun wieder verlegt und sogar in andere Sprachen übersetzt, ist mir ein Rätsel. Wer so sozialisiert wurde, weil das eben so weiter gegeben wurde, der meint vielleicht heute, weil Höcke ein blödes Buch geschrieben hat, das nach meinen Recherchen gar nicht alleine von ihm ist, dass deswegen Gefahr droht. Ein Buch und blödes Gerede ist kein Grund, Mitgliedern einer Partei, die im deutschen Bundestag vertreten ist und in vielen Länderparlamenten der Bundesrepublik Deutschland, die Grundrechte derart einzuschränken, dass Geheimdienste mit den heute möglichen Mittel der Überwachung, die Privatsphäre auch ihrer Familienmitglieder einschränken. Schlussendlich ist es die Aufgabe des Korrektorats und des Verlages, Korrekturen anzubringen. 

Überwachung der Afd durch den Verfassungsschutz


Die grössten Tendenzen zu totalitärer Wirtschaft haben heute die Grünen. Sie haben dunkle Ursprünge in ihrem Denken von beiden Seiten. Sie verstehen sich als politisch links, obwohl ihre Wähler hauptsächlich aus der städtischen gehobenen Mittelschicht kommt. Gleichzeitig haben sie mit ihrem Umweltanliegen, etwa dem Biolandbau, Wurzeln in der alten Ideologie von Blut und Boden, der auch bei den Nationalsozialisten vertreten war. Von den Fundis unter den Gründern, den Ex-Sponti-Strassenkämpfern der ausserparlamentarischen Opposition, grenzten sie sich ab, als sie in die Regierungsverantwortung kamen, spätestens ab der Regierung Schröder. So verwundert es nicht, dass ein Grüner die in der Wählergunst steigende Afd verklagt wegen einer falschen SA-Parole, damit diese weniger Wählerstimmen bekommt, oder gar verboten wird. Ich will die rechtsradikalen Tendenzen überhaupt nicht verharmlosen, in keiner Partei. Mit der gewählten, in der Öffentlichkeit ausgebreiteten Taktik wird leider das Gegenteil erreicht. Erstens unterliegt der Verfassungsschutz offenbar einer unzreichenden Überwachung, wenn er überhaupt eine hat. Zweitens sollte er seine Aufträge nicht bekommen durch eine Klage eines politischen Konkurrenten vor einem untrgeordneten Gericht, sondern im Idealfall durch das Bundesverfassungsgericht. Es geht um die Grundrechte von gewählten in Parlamenten arbeitenden Volksvertretern und vielen anderen, auch von Familienmitgliedern, für die überhaupt kein Anlass besteht, dass sie in irgendeiner Weise die demokratische Ordnung gefährden, dass sie mit Abhöranlagen in ihren Wohnungen und anderen geheimdienstlichen Aktivitäten traktiert werden dürfen. Zum gerade viel diskutierten Urteil des Oberlandesgerichts von Nordrhein-Westfalen in Münster, das bestätigt haben soll, dass die Überwachung von Parteimitgliedern Afd durch den Verfassungsschutz erlaubt sein soll, gibt es nur eine Pressemitteilung. Ein Gerichtsurteil habe ich nicht gefunden, und es wurde mir auf Anfrage auch nicht geschickt. In dieser Pressemitteilung : 

"Die Afd hat keinen Anspruch auf Unterlassung der Beobachtung durch das Bundesamt für Verfassungsschutz. Die Regelungen des Bundesverfassungsschutzgesetzes stellen eine aureichende rechtliche Grundlage für die Beobachtung als Verdachtsfall dar."

Die Afd hat eine Beschwerde einreichen müssen um abzuwenden, dass unsichtbare Geheimdienstmenschen in den Wohnungen herumtapsen, Abhörapparate installieren, Computer und Telefone ansaugen von Parteimitgliedern, also auch diejenigen, die im Parlament vertreten sind sowie viele normale Leute, die dort vielleicht nur Mitglieder geworden sind, damit sie nach der Versammlung der Ortspartei gemütlich beisammen sitzen können, Würste braten und Bier trinken. An der Versammlung selbst haben sie vielleicht über die Geschäfte im Gemeinderat diskutiert, ob ihre Abgeordneten zum Beispiel den Vorstoss der Sozialdemokraten unterstützen sollen für eine neue Kindertagesstätte und wie man dafür die Mittel des Gemeindehaushaltes besser umteilen könnte. Ich war als Lokaljournalistin oft an solchen Ortsparteiversammlungen einer früher als rechtspopulistisch verschrienen Schweizer Partei. In den so überwachten Wohnungen leben auch Familienmitglieder, Jugendliche und Kinder. Besucher gehen ein und aus. Was es bedeutet, wenn man die Geheimdienste im Haus hat, werde ich zu dem, was auf diesem Blog schon früher ausgebreitet wurde, in einem nächsten Post noch berichten. Dass die Afd selbst hat sich beschweren müssen, um solch Unheil abzuwenden, stellt eine Beweislastumkehr da, verletzt aufs gröbste die rechtsstaatlichen Prinzipien, die im deutschen Grundgesetz verankert sind. Das Aufkommen der Nationalsozialisten, deren Machtergreifung mit anschliessendem Holocaust wird von der akademischen Disziplin der Philosophie und in den Sozialwissenschaften auch so beschrieben:

"Die parlamentarische Demokratie fiel in sich zusammen"

Die Richter am Oberverwaltungsgericht Münster sollten überprüft werden, ob sie überhaupt die nach deutschem Recht verlangten Staatsprüfungen haben. Ein Kommentator zu diesem Urteil sagte, dass es Konsequenzen haben könne für Beamte. Sie sind in Deutschland unkündbar, haben einen Eid geschworen, Staat und Volk zu dienen. Sie bekommen eine Pension. Ihre Arztrechnung bezahlt zu 70 Prozent der Staat, sodass sie sich nur für diese 30 Prozent krankenversichern müssen. Der Staat übernimmt diese Kosten, weil er sozusagen selbst der Versicherungsträger ist. Nach Beamtengesetz besteht eine Fürsorgepflicht des Staates bis zum Tod. Einst verstanden als Bollwerk der Stabilität, wurde das Beamtentum in Deutschland zunehmend ausgedünnt. Immer noch verbeamtet sind aber Lehrer:innen, Richter:innen und Staatsanwälte. Bei der Übernahme in den Staatsdienst werden extremistische Einstellungen überprüft, wegen dem sogenannten Radikalenerlass von 1972. Sich extremistisch zu betätigen, stellt eine Bedingung dar, um den Beamtenstatus zu verlieren. Insofern stellt diese Vorgehensweise in ihrer Wirkung eine Neuauflage des NS-Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums von 1933, über das ich schon geschrieben habe im Zusammenhang mit den jüdischen Künstler:innen. Um zu verstehen, wie sich das NS-Terror-Regime etablierte, muss man die genauen Abläufe und Geschehnisse der Jahre 1931-1934 genau ansehen. Ich habe dazu eine Arbeitstabelle im Anhang eingestellt. Ich habe sie für mich gemacht, weshalb sie keine besondere Darstellung hat und kleingedruckt ist. Man kann sich das aber auch selbst erarbeiten. Alle Informationen zum Nationalsozialismus sind auf vielen verschiedenen, seriösen Internetseiten zu finden.

Wirtschaftsmächte hievten Hitler ins Amt


Mit seiner Ernennung zum Reichskanzler 1933, setzte sich die Fraktion von Hitler durch. Diese war unterstützt von kapitalkräftigen Industriellen, Konzernen und Verlegern des Mitteleuropäischen Wirtschaftstag (MWT), ursprünglich ein kleiner Wirtschaftsverband, der für ein einheitliches Wirtschaftsgebiet in Ost- und Südosteuropa auf der Basis von Grosskonzernen und Monopolen eintrat, nach Vorbild US-amerikanischer Trusts. Die Mehrzahl der Unternehmen in Europa hatte vor 1931 eine andere Vision eines gemeinsamen Europas, die der Freiheit für das Individuum (Demokratie) und souveräner Staaten, deren Regierungen und Unternehmen zusammenarbeiten und Handel untereinander treiben. Ab der Weltwirtschaftskrise 1930 bekam der MWT eine immer grössere Rolle, die dann in der Kriegs- und Rüstungswirtschaft der NS-Diktatur mündete.

Ab der Weltwirtschaftskrise 1930 konnte keine Koalition für die Regierung der Weimarer Republik mehr gebildet werden. Reichspräsident von Hindenburg ernannte schon die Vorgängerregierung von Hitler. Sie regierte mit Notverordnungen im Namen des Reichspräsidenten, was nach der Verfassung der Weimarer Republik legal war. Zum 1. Januar 1933 ernannte Hindenburg Hitler zum Reichskanzler. Zweimal lehnte der Reichspräsident ab, fügte sich dann doch. Hitler wurde von Wirtschaftsmächtigen ins Amt gehievt. Anfang Februar 1933 folgte die Notverordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat. Sie setzte die Grundrechte ausser Kraft, erlaubte die Todesstrafe ohne Gerichtsprozess, insbesondere für Hochverrat, Aufruhr und Landfriedensbruch. Die Regierung der Nationalsozialisten errichtete das KZ Dachau und zwei weitere, wo ab 22. März 1933 Sozialdemokraten, Kommunisten, Gewerkschafter, Aktivisten der republikanischen Schutzbünde und andere erklärte Gegner der Nationalsozialisten in Haft kamen, gefoltert und erschossen wurden. Am 24. März 1933 folgte das sogenannte Ermächtigungsgesetz, das alle gesetzgebende Gewalt der Regierung, also Adolf Hitler übertrug. Der Reichstag stimmte zu, ohne 21 sozialdemokratische Abgeordnete und allen gewählten 81 Abgeordneten der Kommunistischen Partei, die bereits verhaftet, ermordet, geflohen, oder in den Untergrund gegangen waren. Die Schutzstaffel SS, die Teil des NS-Terrorstaates war machte die SA als Parteimiliz überflüssig. Sie sollte die Saalordner für Parteiversammlungen und politische Reden stellen, beteiligte sich aber vor allem an Schlägereien mit politischen Gegnern. Auch die Kommunisten waren gespalten und hatten rabiate Schlägertrupps. Auch Turnvereine und Freikorps hatten sich der SA angeschlossen, deren Mitglieder nicht alle Schläger waren, sondern auch Motorradfahrten und Lagerfeuerromantik für sozial Benachteiligte organisierten (Lebendiges Museum Online). Unter dem Vorwand, die SA plane einen Staatsstreich, den sogenannten Röhmputsch, liess Hitler 1934 Gegner unter seinen Gesinnungsgenossen verhaften, in KZs verfrachten, foltern und erschiessen, darunter die Führungsriege der SA und viele Sympathisanten aus der Arbeiterbewegung. 

Freiheitsbewegungen im 19. Jahrhundert


Der Spruch Alles für Deutschland könnte aus den Bewegungen zum Nationalstaat, für Freiheit und Demokratie, Liberalismus, der sogenannten bürgerlichen Revolution von 1848 kommen, mit der verfassungsgebenden Versammlung in der Frankfurter Paulskirche. Diese Zeit gehört aber zu den Schwerpunkten von Björn Höcke als Historiker, wie er im Gespräch mit der Weltwoche sagte. Er sagt, alles für Deutschland sei ein Allerweltsspruch.  Die 1848er Bewegung wurde blutig nieder geschlagen. Viele der Protagonisten für Freiheit und Demokratie flohen, darunter auch Karl Marx (1818-1883). Zurück geblieben sind diejenigen, die sich nur für den Nationalstaat aussprachen, nicht für die Freiheit und Demokratie. Vieles, was heute als kultureller, politischer und philosophischer Fortschritt angesehen wird, hat zweideutige Ursprünge. Die damals Burschenschaften genannten Studentenverbindungen waren tragende Kraft der 1848er, gingen später aber auf in den Freikorps, die nach dem ersten Weltkrieg gegen demokratische Bestrebungen mit Waffen vorgingen. Auch die Dichter und Denker aus Thüringen, die der CDU-Kandidat Mario Voigt im Zusammenhang mit seinem Begriff von Heimat nennt, trugen leider bei zum geistigen Umfeld, auf dem Nationalsozialismus und Holocaust wuchsen (siehe Friedrich August von Hayek: Der Weg in die Knechtschaft, 1944).

"Haftung ohne Schuld"


Die Anschuldigungen gegen Höcke beruhen auf dem Mitschnitt einer Wahlkampfrede für eine Landtagswahl 2021. Dort sei der Wahlslogan gewesen Alles für die Heimat. Da ersetzte der Wahlkämpfer dann Heimat zuerst mit dem Namen für das Bundesland und dann Deutschland. Höcke sagte aber auch wiederholt, dass das Alles für Deutschland für ihn die Übersetzung von Donald Trumps America First sei. Das war ein Spruch der US-amerikanischen Nazis der 1930er Jahre. Viele Länder hatten Nazis in dieser Zeit. Sie nannten sich jeweils anders, viele Nationalisten, weil das bürgerlicher und ansprechender klang. In den USA hiessen sie Isolationists. Sie waren gegen den Kriegseintritt gegen NS-Deutschland weil sie auf dessen Seite standen. Das änderte sich mit dem japanischen Angriff auf Pearl Harbor und nach dem Krieg bestand allgemeine Einsicht, dass der Faschismus der falsche Weg war.  Philip Roth (1933-2018) schrieb dazu einen Roman, in dem er seine Kindheit als jüdischer Junge in New York zur Grundlage einer falschen Geschichtsschreibung macht, wie wenn ein amerikanischer Nazi- Diktator beinahe an die Macht gekommen wäre. Im Anhang zum Buch sind kurze Biografien der realen Politiker und Unternehmensführer, die eine Nazi-Agenda führten. Sie haben sich nicht schuldig gemacht, auch wenn viele an den Ursachen der Grossen Depression der 1930er Jahre beteiligt waren, der das faschistische Gedankengut begünstigte. Der Psychologe Viktor E. Frankl (1905-1997), der aus seiner Erfahrung des Überlebens als KZ-Häftling Ideen entwickelte, sprach von dem Unterschied zwischen kollektiver Schuld und kollektive Haftung. Hinsichtlich der Verbrechen der NS-Herrschaft, besteht diese auch für die heute lebende Generation.


"Nehmen Sie an, ich erkranke plötzlich an einer Blinddarmentzündung - bin ich Schuld daran? Gewiss nicht, und dennoch: Wenn ich operiert werden muss, was dann? Dann bin ich trotzdem dem Arzt, der mich operiert, das Operationshonorar - schuldig. Das heisst, ich hafte für die Begleichung der Arztrechnung. Es gibt also sehr wohl etwas wie Haftung ohne Schuld. Und so ähnlich steht es nun auch mit dem Kollektiv jener Menschen, die kollektiv von einem Terror  befreit wurden."


Genauso verhält es sich mit den heute Lebenden. Sie sollten sich dessen bewusst sein, dass sie weiterhin Verantwortung haben und somit auch sich bemühen selbst zu lernen, wie es zum Nationalsozialismus und Holocaust kam, und, dass es nicht wieder passiert, statt Einzelne heraus zu picken für Gangmobbing, weil sie vielleicht einer bestimmten Partei angehören, eine ältere Frau mit Bauernhof und Bildung sind, oder, was wahrscheinlich am Häufigsten der Fall ist, weil es einfach ist, jemand anderen fertig zu machen, statt selbst etwas konstruktives beizutragen.

Für sein Land einstehen


An dem Slogan America First ist absolut nichts auszusetzen. Jeder versteht, was damit gemeint ist, nämlich, dass ein Präsident sich zuerst um die vielen Probleme im eigenen Land kümmern will, bevor er anderen Staaten mit Steuergeld der eigenen Bürger Geschenke macht. Wer damit nicht einverstanden ist, wählt einen anderen. Für mich ist aber das Zitat von Präsident John F. Kennedy (1917-1963) auch ein Alles für...:


"Don't ask what your country can do for you. Ask what you can do for your country."

"Fordere nicht von deinem Land! Tu etwas für dein Land!"

Das ist schwieriger zu übersetzen, insbesondere in einen griffigen Wahlkampfslogan. Ich habe als Übersetzerin gearbeitet und als Journalistin. Die Zusammenfassung von prägnanten Aussagen in sogenannten Kleintexten, also Überschriften, Untertitel, Bildbeschreibungen, gehört zum Handwerk, und auch das hochgejubelte ChatGBT könnte bei einem Text mit einem Thema im Zusammenhang mit dem politischen Wirken von John F. Kennedy und seinen Zeitgenossen in Deutschland,  heraus spucken: Alles für Deutschland. Weil die gegenwärtige künstliche Intelligenz auf der Grundlage von Werten programmiert und trainiert wird (Jordan Peterson, 2024) und in Zeiten mit sogenannter negativer Recherche, das Ausspionieren von Zitaten und Handlungen von politischen Gegnern, die sie in einem moralischen negativem Licht erscheinen zulassen, kommt dann womöglich heraus: SA Parole. Jedenfalls haben bekannte Online-Medien zur Fernsehdebatte im April 2024, die Thema dieses Artikels ist, und über das Gerichtsverfahren gegen Höcke wegen dem Zitat Alles für Deutschland ausgiebig Artikel geschrieben, die nicht hinter einem Paywall versteckt sind, die man also lesen kann, wenn man sich eine eigene Meinung bilden will, in denen der Spruch, der angeblich ein verbotenes NS-Symbol ist, überhaupt nicht zitiert wird. 

"Der bedrohte Friede"


Mir bleibt John F. Kennedy in Erinnerung, durch Profiles in Courage (1956), das ich zusammen mit einer Rede von ihm zur Zivilcourage gelesen habe, und ein Schulprojekt dazu gemacht habe, als ich in der dritten Klasse war. Vor ich dies gelesen habe, war Nationalsozialismus und Holocaust geprägt von der Frage, was hätte ich gemacht in dieser Zeit, hätte ich mich beteiligt? In meiner kindlichen Vorstellung war der Nationalsozialismus eine Art Massenwahn gewesen, bei dem ein ganzes Volk sich auf einmal zur Bestie wurde. Ich war mit dem Thema konfrontiert, weil ich ein deutsches Kind in Amerika war, das in unmittelbarer Nähe zu den deutschen Raketenforschern um Werner von Braun (1912-1977) lebte. Einer von ihnen war unser unmittelbare Nachbar, zu dem wir keinen Kontakt hatten. Sobald ich lesen konnte, was irgendwann um Weihnachten in der ersten Klasse war, las ich die Bücher, die im Regal meiner Eltern waren, mangels genügend deutscher Jugendliteratur, die von den Verwandten in Deutschland geschickt werden musste, und die ich Leseratte, die ich war, immer sehr schnell gelesen habe. Eines der ersten deutschen Bücher, das ich gelesen habe war von Hans Hellmut Kirst (1914-1989), mit Szenen aus dem brutalen Alltag der NS-Kriegsmaschinerie. Nachdem ich die Rede Kennedys zur Zivil Courage gelesen hatte, änderte sich meine Einstellung zu der, die später in meinem deutschen Gymnasium im Religionsunterricht, in Sozialkunde und Geschichte einschliesslich Abitursprüfung auf dem Lehrplan stand: 


"Warum ist das passiert? Wie ist das passiert? Was muss ich tun, damit ich beitragen kann dazu, dass es nie wieder passiert."



Kennedy haben wir wahrscheinlich zu verdanken, dass wir überhaupt heute am Leben sind, indem er in der Cuba Krise 1961 telefonierte mit seinem sowjetischen Gegner Nikita Khrushchev (1984-1971) und sie sich gegenseitig Briefe schrieben. Wer gesund wird, wegen einer Operation, bei der er auch hätte sterben können, kann nicht sagen, ob eine andere Medizin ihm genauso geholfen hätte, oder ob er vielleicht auch ohne jegliche medizinische Behandlung dank Spontanheilung wieder gesund geworden wäre. In der Ökonomie spricht man von Pfadabhängigkeit. Die Vergangenheit hat einen Einfluss auf Gegenwart und Zukunft. Angesichts der politischen Intrigen, geheimdienstlichen Aktivitäten auf beiden Seiten der Grossmächte des Kalten Krieges während der Cuba Krise, mit Atombomben vor den Haustüren, der Beteiligung der organisierten Kriminalität, die ihre Casinos für die Geldwäsche auf Kuba wieder haben wollten, denke ich, hätte Kennedy nicht zum Telefonhörer gegriffen, wäre die Katastrophe eingetreten. Denjenigen, die so etwas anzetteln, oder nur in Kauf nehmen, ist das egal, weil sie vom Untergang profitieren. Carl Friedrich von Weizäcker (1912-2007) schrieb 1983 (Der bedrohte Friede):


"Zum Zweck der Machterhaltung wird man die Weltbevölkerung auf ein Minimum reduzieren. Dies geschieht mittels künstlich erzeugter Krankheiten. Hierbei werden Bio-Waffen als Seuchen ausgegeben, aber auch mittels Hungersnöte und Kriege. Auslöser dafür ist die Erkenntnis, dass die meisten Menschen ihre eigene Ernährung nicht mehr finanzieren können."


Zitiert nach: G. Hirschfelder (2011) in A.Ploeger, et al. Die Zukunft auf dem Tisch. Analysen, Trends und Perspektiven der Ernährung von morgen.


Ich schreibe jeweils die Lebensdaten in Klammern hinter die Namen der Gelehrten, Politiker und Autoren, damit man erkennt, in welcher Zeit sie gelebt haben. Diejenigen, die wie meine Grossväter in den 1890er Jahren geboren wurden, haben den Ersten Weltkrieg als Kanonenfutter im modernen Stellungskrieg, an Hunger sterbende Frauen und Kinder nach dem Ersten Weltkrieg wegen der Britischen Seeblockade, die Hyperinflation 1923 mit Massenobdachlosigkeit und Hungertod, den Zweiten Weltkrieg und Holocaust erlebt. Das Zitat von Weizäcker, der Physiker war, stammt nicht von pessimistischer Verschwörungstheorie, sondern ist das, was die deutschen Nationalsozialisten voll auf ihrem Programm hatten. Sie meinten, dass der industriell-bürokratische Mord von 6 Millionen Menschen jüdischer Herkunft, 60 Millionen Kriegstoten humaner wäre, als sie zu dezimieren durch Verhungern lassen. Diese Zusammenhänge wurden ausgiebig von Wissenschaftlern untersucht und dokumentiert, waren Thema von Abitur und Studium. Heinrich Himmler (1900-1945), der als Architekt des Holocaust gilt, verhandelte im Geheimen für die Kapitulation von NS-Deutschland 1945. Er soll gesagt haben:

"Wir haben übertrieben."

Achzig Jahre später kommt eine Generation daher, bei der nicht Wenige auf diesem Elend aasen,  um Einzelne heraus zu picken und als Nazis, oder Querulanten zu diffamieren, um ihre politische Karriere zu ruinieren, ihnen das letzte Hemd auszuziehen und nebenbei sie in jeder Lebensregung zu beleidigen und zu demütigen. Ende der 1980er Jahre war es dann der sowjetische Parteivorsitzende Michail Gorbatschow (1931-2022), der zuerst mit Willi Brandt (1913-1992), dem Architekten der Entspannungspolitik, sprach,  dann mit Helmut Kohl (1930-2017), um die Mauer zwischen Ost- und Westdeutschland zu fall zu bringen, und die Wiedervereinigung anzuregen.

Was einmal geteilt war, wächst nicht so schnell zusammen


Ich habe nichts gegen eine konservativ-liberale Partei neben der CDU. Wie die Zusammenhänge von rechtsradikalen, verfassungsfeindlichen Angriffen auf kleine, neu gegründete Parteien sind, führt an dieser Stelle vom Thema weg. Bekannt ist aber, dass Ausgrenzung, was eine Methode der Nationalsozialisten war, das Problem verstärkt. Es ist für mich nicht verständlich, dass der deutsche Verfassungsschutz die ganze Partei überwacht und nicht Rechtsradikale dort wo sie sind, ob in einer Partei oder parteilos, verfolgt und dingfest macht. Das Problem ist aber die gesellschaftliche Veränderung, die mit der Strafgesetzgebung nicht überwunden werden kann. Dafür braucht es andere Instrumente, darunter Governance und Compliance. Die wundersame Vermehrung der Parteien in Deutschland hat auch zu tun mit der Wiedervereinigung der zwei Teile Deutschlands, die nach dem Zweiten Weltkrieg fast fünfzig Jahre unterschiedliche politische und gesellschaftliche Entwicklungen durch gemacht haben: Hier die Überfluss- und Konsumgesellschaft, dort die Mangelwirtschaft, der Versuch einen Sozialismus umzusetzen, der wirtschaftlich scheiterte. Dann die Übernahme des Ostens durch den Westen. 

Ich bin früher ein paar Mal die Transitstrecke nach Berlin gefahren, einmal mit meinen Eltern, als mein Vater noch seinen US-amerikanischen Pass hatte. Ihm war mulmig dabei, und deswegen sind wir auf einer Landstrasse gefahren, mit kleinem Grenzübertritt. Ich weiss nicht, ob das offiziell organisiert war. Jedenfalls waren die Grenzer recht freundlich, im Gegensatz zur grossen Transitstrecke, wo man vor Berlin in ein Kabuff musste, ein militärisch Uniformierter einem lange ins Gesicht starrt, befahl, die Brille abzuziehen, wie wenn man nicht diejenige auf dem Passfoto sei. Am Anfang des Studiums hatte ich einen Kommilitonen, der mit seinen Eltern aus der DDR übergesiedelt war und der litt darunter, dass er im Westen weniger Gemeinschaft unter den Gleichaltrigen vorfand. Im Sommer 2022 war ich für wenige Tage in Thüringen und es gefiel mir sehr gut. Um die Geschichte zu verstehen, muss man die Fähigkeit haben, sich in die Lebensbedingungen der Menschen von damals hinein zu versetzen. Als im Gymnasium das Thema Nationalsozialismus behandelt wurde, erzählte und diskutierte ich jeweils nach Schulschluss mit meiner Mutter darüber. Sie pflegte zu sagen:

"Wenn du da drin steckst, bekommst du keine Informationen und verstehst es deshalb nicht. Ihr lernt das richtig."

Meine Eltern waren Kriegskinder. Man konnte ihnen nicht viel sagen. Mutti, meine Oma, machte die besten Pausenbrote der Welt, auch in der schlechten Zeit. Ihr Kind, meine Mutter bekam dann vom Vater jeweils ein paar extra Brote dazu, mit dem Auftrag, sie den polnischen Zwangsarbeitern, an denen sie auf ihrem Schulweg vorbei kam, in die Taschen zu stecken, dann, wenn die armen Gestalten bei der Essensausgabe standen. Es haben also alle gesehen. Meine Mutter sagte, sie hätte sich damals geärgert über ihren Vater, weil er ein Mann war und es nicht selbst machte. Auf Wikipedia und bei all den Hetzartikeln gegen Höcke wird auch immer betont, dass seine Grosseltern Vertriebene waren, wie wenn das ein Grund wäre für nationalsozialistische Gesinnung. Weiss jemand, ob sie vielleicht auch eine gelbe Bank hatten im Garten, damit der pensionierte Postbeamte, der die Garten und den Hühner- oder Kaninchengarten für die Selbstversorgung kontrollierte, wusste, hier wohnen jüdische Menschen, die anderen helfen? Wissen sie, ob Höckes einen Ariernachweis hatten, oder ob der Grossvater wie der meinige zum Gauleiter ging, als die Tochter den Einberufungsbefehl zum Bund Deutscher Jugend BDM, oder der Sohn zur Hitlerjugend, wo man diesen Ariernachweis vorlegen musste, und sagte:

"Meine Tochter hüpft nicht halbnackt in der Masse herum."

Meine Mutter sagte, ihre ältere Schwester wäre zu sensibel gewesen, und deshalb in Tränen ausgebrochen, als dieser Einberufungsbefehl kam. Selbst die beste Freundin meiner Tante glaubte nicht, dass sie nicht bei den BDM war. Ich habe das Buch von Höcke nicht gelesen. Nach oberflächlicher Recherche hat er es zusammen mit einem anderen geschrieben. Viele haben blöde Bücher geschrieben und dummes Zeugs gesagt. Antisemitismus und Mobbing aufgrund von Nazi-Ideologie hatten nach dem Krieg Hochkonjunktur, weshalb die meisten nicht darüber sprachen. Höckes Vater war Sonderschullehrer, weshalb es für mich sehr unwahrscheinlich ist, dass die Familie überzeugte Nazis waren. Die Nazis haben Behinderte verachtet, verhungern lassen und ermordet. 

Ungenügende Aufarbeitung der NS-Zeit


Die gegenwärtigen Verwerfungen in Gesellschaft und Wirtschaft haben zu tun mit der ungenügenden Aufarbeitung der dunklen Seiten der Vergangenheit, in den Berufen, der Gesellschaft, der Wirtschaft und der Politik. Um zu verstehen, wie die Nationalsozialisten an die Macht gekommen sind, muss man sich die genaue Abfolge der Ereignisse der Jahre 1931-1933 ansehen. Ich habe dazu eine Arbeitstabelle erstellt, die ich in den Anhang einfüge. Wichtig ist auch die Wirtschaftsgeschichte. Viele Historiker, die zum Thema Nationalsozialismus gearbeitet und publiziert haben, sind keine Ökonomen. Die Wirtschaftswissenschaften erlauben keine wiederholbaren Experimente, wie die Naturwissenschaften. Ihre Modelle und Erkenntnisse beruhen auf Werturteilen, vor allem, dass die Grundlage aller wirtschaftlichen Aktivitäten  rule of law. Demokratie und Marktwirtschaft können nur funktionieren, wenn sich alle, egal in welcher Position, an die Gesetze halten. Wohlstand und politische Stabilität der Nachkriegszeit beruht auf einem System, das die Menschenrechte zur Grundlage macht, sagte der frühere Justizminister und FDP-Politiker Gerhart Baum. Er hat zusammen mit Burkhard Hirsch (1930-2020) und anderen in der Bedrohungslage durch RAF-Terroristen in den 1970er bis 1980er verhindert, dass in der Bundesrepublik Deutschland noch einmal durch Notverordnungen und Lauschangriffe die Demokratie ausgehebelt werden konnte.

Das Wissen über den Nationalsozialismus und den Holocaust scheint verloren gegangen zu sein, beziehungsweise ist gewichen dem wortklauberischen Fingerzeig aufgrund der eigenen Überheblichkeit. So findet dieselbe gesellschaftliche Veränderung statt wie damals, unter anderem Vorzeichen, mit anderen Vorwänden. Angesichts der Ernsthaftigkeit und des Leids, das das deutsche NS-Terror-Regime angerichtet hat, ist das verwerflich. Eine Rolle spielte damals wie heute, eine bedenkliche Form des Generationenkonflikts. Jüngere und mittelalterliche Leute, die niemanden mehr kannten und kennen, der die Zeit der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts lebte, urteilen über andere und frühere Zeiten aus ihrer eigenen Beschränktheit und ihren Vorurteilen heraus. Dazu nutzen sie auch noch das Internet, das erlaubt, jeden frei zu geben zum Abschuss. Björn Höcke hat mir etwas voraus, indem er Sport treibt, mit dem Rennrad fährt und eine Familie hat, die zu ihm hält und im schönen Thüringen mit den freundlichen Leuten lebt.

Der Stockfisch von Erfurt zeigt Zähne.

Tipp für die Duellanten: Besichtigung der Erinnerungsstätte Topf in Erfurt.
 

Anhang








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