Eingewanderte Wölfe sind kein Hexenwerk, wenn die Menschen die Natur verstehen, wie die Hopi-Indianer
In der Schweiz, wie in anderen europäischen Ländern vermehrt sich der Wolf unkontrolliert, wahrscheinlich exponentiell. 2012 gab es in der Schweiz ein Wolfsrudel, 2022 sind es deren elf. Wölfe reissen Schafe, Ziegen. Auch Kälber und Rinder wurden schon angegriffen. Elektrozäune mit hoher Spannung und "offizielle" Herdenschutzhunde sollen in der Schweiz zur Pflicht werden.
Erinnerungen an meine Kindheit in Amerika
Invasoren unerwünscht
Nur wenige Tage hatten wir, um die Westküste zu erreichen. Mein Vater, der Computerwissenschaftler, hatte, wie alle Amerikaner, nur wenige Tage Urlaub im Jahr. Trotzdem hielten wir immer wieder an auf unseren Reisen nach Kalifornien, wo mein Vater dann beruflich zu tun hatte und meine Mutter, meine kleine Schwester und ich uns trafen mit der Familie eines Jugendfreundes meiner Eltern, der nach dem Krieg als 18-Jähriger mit seiner Mutter in die USA ausgewandert war. Wir hielen immer wieder an, um uns Land und Natur anzusehen, oft auf der Spur der Hopi und Zuni, das Volk, das meine Mutter besonders interessierte. Einmal fuhren wir mit dem alten blauen Chevy durch die leeren Strassen eines ärmlichen Pueblos. Einige Wachposten lehnten an den Wänden der Lehmbauten, starrten mit eisigen Blicken unter ihren Cowboy Hüten hervor. Die Hopi leben in Pueblos, übereinander gestapelte Würfel aus Lehm. Die Bewohner waren in ihre Häuser gegangen, als sie die Touristen kommen sahen. Ich schaute aus dem Autofenster und verstand nicht, warum wir bei soviel Ablehnung, dort eindringen mussten. Es ging dann weiter ins Monument Valley, einem Hochplateau mit Tafelbergen im Indianer Reservat der Navajos. Es ist sehr bekannt, auch weil dort Westernfilme gedreht wurden, wie etwa Spiel mir das Lied vom Tod (1968) von Sergio Leone.
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Monument Valley mit Tafelbergen, an der Grenze von Utah und Arizona (Fotograf: Moritz Zimmermann, 2006) |
Das Monument Valley ist für die Navajos heilig. Sie glauben, dass die Katsinas auf den markanten Tafelbergen dort wohnen und nur herunter kommen, um die Menschen zu leiten, lehren und schützen, wenn diese das brauchen, zum Beispiel während der Vegetationszeit für die Landwirtschaft und bei der Jagd. Katsinas sind für die Pueblo-Indianer Geistwesen, die Vermittler sind zwischen Mensch und Natur, worunter sie alles verstehen was übergeordnet ist, eigenen Gesetzen folgt und ausserhalb des Menschen ist. Auch andere Indigene, die Maori von New Seeland und die Aborigines in Australien haben dieselbe Vorstellung von Spiritualität. Diese Werthaltung, Lebenseinstellung der Indigenen wird heute in den Programmen für die Transformation der Wirtschaft, um die Herausforderungen von Klimawandel, erneuerbaren Energien, Nachhaltigkeit und Resilienz miteinbezogen, beispielsweise, bei regionalwirtschaftlichen Projekten der Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit, der OECD. Dies etwa bei der Festlegung von Indikatoren für Nachhaltigkeit, die den Vorteil, den Gewinn durch eine Massnahme messen, nicht nur die Kosten für den Staatshaushalt, wie heute üblich. Wegen ihrer Form von Spiritualität richten die Indigenen ihre Handlungen bei Schwierigkeiten, Krisen immer darauf aus, diese zu Überwinden, auch, weil sie über Generationen denken, mehr in die Vergangenheit schauen, um zu erkennen und zu lernen, was früher erfolgreich war, als das heutige Fortschrittsdenken auf die Zukunft auszurichten. Die Katsinam der Hopi und Navajo stehen für Tiere, Naturphänomene und für die Ahnen, also die Menschen, die früher gelebt haben. Auch wir Europäer, die geprägt sind von der modernen, westlichen Welt, haben Wurzeln, Traditionen, die von hiesigen sehr frühen Naturreligionen stammen, die wir aktivieren können, nicht in Ritualen und Esotherik, sondern in unserer Werthaltung.
Monument Valley: Sehenswürdigkeit und Naturheiligtum
Die Tafelberge, die vor Millionen von Jahren von einem Fluss heraus gespült wurden haben Namen wie Regen Gott Mesa, Auge der Sonne, Totem. Der Monument Valley Navajo Tribal Park ist für Touristen erlaubt, wobei man sich bei der Stammesverwaltung anmelden muss, um auf bestimmten Strassen fahren zu dürfen. In andere Teile dieser interessanten Landschaft darf man als Tourist nicht, entweder, weil die Navajo dort keine Fremden haben wollen, es gefährlich ist, in einer solchen, dünn besiedelten Wüste bei mehr als 30 grad herum zu irren. Ausserdem wurde dort früher radioaktives Uran abgebaut.
Wir kamen an einem Sonntagmittag dort an, um mit dem alten, dunkelblauen Chevy, der so alt war wie ich, Baujahr 1960. Unser Auto hatte einen kräftigen, blauen Farbton, wie es sonst kein Fahrzeug hatte. Ein Vorbesitzer hat es neu lackieren lassen. Wegen dieser Farbe und der speziellen Stellung der Scheinwerfer konnte ich als Kurzsichtige immer sehen, wenn meine Mutter kam, um mich abzuholen, etwa wenn es in strömen regnete und ich von der Schule nach Hause lief. Wir kamen am Nachmittag an dem kleinen Verwaltungsgebäude der Stammesverwaltung, wo man die Rundfahrt im eigenen Auto durch das Monument Valley lösen und bezahlen musste. Es war Sonntag und so war zuerst niemand da. Es war auch nicht so üblich unter den Amerikanern damals, touristische Reisen im eigenen Land zu den weniger bekannten Sehenswürdigkeiten zu machen. In meiner Klasse war ich mit Abstand diejenige, die die grösste Anzahl der Bundesstaaten besucht hat. Meine damaligen Klassenkamerad:innen fuhren meist nur nach Georgia, Tennessee oder Florida, um Verwandte zu besuchen.
Mein Vater lief dann herum in der Ansammlung von Hütten, in denen das Gebäude der Stammesverwaltung der Navajos für das Monument Valley war und suchte, bis er jemand fand, der uns die Eintrittskarte bezahlen liess, und den Weg wies zur steinigen Wüstenstrasse, die als Rundtour angelegt war. Mein Vater fuhr aber weiter geradeaus, bis wir bei einer Hütte ankamen. Ich weiss nicht, ob meine Erinnerung an einen halb fertigen Teppich, der vor dem Haus war, in meiner Fantasie war, oder ob es wirklich so war. Meine Mutter wusste aber, dass hier eine Weberin lebte und hatte sie aufsuchen wollen.
Wilde Hunde schützen Haus und Arbeit
Giftiges Gebell, bullige Hundeköpfe mit mächtigen Gebissen aus denen lange, weisse Fangzähne heraus ragten. Muskeln spielten unter schwarz glänzendem Fell. Ihren Meister sahen wir nicht, aber er hielt sie zurück. Sie tänzelten nervös und jederzeit zum Sprung bereit, falls die Autotür aufgehen sollte. Mein Vater legte den Rückwärtsgang ein. Bevor wir die Touristenstrasse wieder erreicht hatten, drückte ein grosser Stein die Ölwanne ein. Per Zufall kam ein Ranger in einem Pickup-Truck vorbei. Er hatte jemanden besucht im Tal, war nicht im Dienst, um auf Touristen, die den vorgeschriebenen Weg in der Wüste verliessen, aufzupassen. Mein Vater, meine kleine Schwester und ich kletterten hoch hinauf auf den Beifahrersitz. Meine Mutter blieb in der sengenden Hitze im dunkelblauen Auto mit verriegelten Türen und geschlossenen Fenstern, bis Stunden später der Abschleppwagen kam, von dem der Ranger gesagt hatte, dass er unmöglich an einem Sonntag aufzutreiben sein werde. Auch traue sich wohl niemand in das Hohheitsgebiet der Indianer, um den Wagen einer Touristenfamilie zu holen, die sich nicht an die Regeln gehalten hatten. Ich glaube nicht, dass meine Mutter nur blieb, damit der Abschleppdienst das Auto holen musste, um der Anschuldigung zu entgehen, eine Frau in der Wüste am Hitzetod sterben und verdursten gelassen zu haben. Sie wollte diesen heiligen Ort der Navajo spüren.
Später fuhren wir dann zu einer riesigen Lehmbaute aus präkolumbianischer Zeit gefahren, von der ich nicht mehr weiss, ein Monument, von dem ich den Namen nicht mehr weiss. Die Tafeln erklärten, dass es sich um eine Art Sternwarte gehandelt habe, mit der die Bewegungen und Konstellationen von Himmelskörpern beobachtet und vermessen werden konnten. Ich hatte auch von meiner Mutter ein Buch über eine frühe Kultur der amerikanischen Ureinwohner, die sehr hochstehend war, von der damals jedenfalls keine Ausgrabungen gemacht wurden, sondern nur überwachsene Hügel waren. Ich habe einmal den heute 96-jährigen Linguisten und politischen Aktivisten Noam Chomsky in einem Vortrag davon reden hören. Er sagte, diese Kultur sei aus politischen Gründen nicht näher erforscht worden von Archeologen und Forschern der frühen Kulturen, weil das das kolonialistische Bild der Überlegenheit der Eroberer und Einwanderer aus Europa gestört hätte. Agrarwissenschaftler aber heute, die nach Lösungen für Ernährungssicherheit und Klimaschutz suchen, interessieren sich vermehrt dafür, wie frühe Kulturen ohne die modernen, von den Naturwissenschaften abgeleiteten Methoden Naturmanagement betrieben, wie sie wussten, wie die natürlichen Ökosysteme zu beeinflussen, damit Nahrungspflanzen wuchsen, ohne die Natur und den Boden zu zerstören, etwa mit dem Pflug. Die Permakulturbewegung, die in Australien entstand, war stark beeinflusst von der Kultur der dortigen Aborigines. Pueblo Indianer verfügen über Maissaatgut, das auf komplett ausgetrocknetem Boden keimen und wachsen kann.
Als mein Vater, meine Schwester und ich dann zurück kamen mit dem Abschleppwagen, klebten meiner Mutter die nass geschwitzten Kleider am Leib. Sie beschwerte sich nicht, sondern stieg mit ein in die Kabine des Abschleppwagens.
Schwierige Jagd muss gelernt werden
Hirsch und Reh sind dem Wolf an Kraft und Kampfkraft überlegen. Sie töten einen Wolf oder verletzen ihn schwer, wenn das Rudel nicht präzise arbeitet. Ich habe schon gesehen, wie ein Reh einen mittel-grossen Hund mit den vorderen Beinen zuerst verprügelte und dann in hohem Bogen durch die Luft warf, dass er mehrere Meter weiter liegen blieb und erst nach Minuten wieder aufstand. Oft brechen Wölfe ihre Jagd ab. Sie bewerten ständig das Risiko, das Risiko getötet oder verletzt zu werden, Energie zu verlieren, wenn sie der Beute hinterher rennen, und sie entkommt dann doch. Der Wolfsforscher David Mech hat Wölfe jahrelang beobachtet und über ihr Jagdverhalten geschrieben. Wölfe leben im Rudel, damit die Jungwölfe die komplizierte, schwierige Jagd lernen, aber auch, damit es genügend Esser hat. Wo der Luchs seine Beute mit Laub überdeckt und immer wieder zurück kehrt, um zu fressen, lassen Wölfe viele Reste übrig für Krähe und Fuchs. Sie begnügen sich auch mit kleinem Getier wie Feldmäuse, Füchse, vielleicht auch Murmeltiere und andere Tiere, die weitaus gefährdeter sind vom Aussterben wie der anpassungsfähige Wolf. Es wurde schon berichtet, dass drei Wölfe Igel aus dem Unterholz aufscheuchten, auf eine Strasse trieben, direkt vor die Reifen des nächsten Autos. Dann schleckten die Wölfe die Überreste von der Strasse, ohne, dass die Igelstacheln sie verletzten. Ihre klassischen Beutetiere, Hirsch und Reh, sind den Wölfen körperlich überlegen, können einen Wolf töten, sodass die Jagd nach ihnen von den Jungwölfen gelernt werden muss und gefährlich ist. Die falsche Einschätzung des Risikos führt zu Verlusten und Verletzungen, weshalb die Wölfe viele Jagden abbrechen. Ein Grund, weshalb sie im Rudel leben, ist, dass sie so ihre Verletzten pflegen können.
Dass wir soziale Wesen wurden, verdanken wir wahrscheinlich dem Wolf
Evolutionsbiologen meinen, Menschen hätten ihr Sozialverhalten vom Wolf übernommen. Die mit uns am engsten verwandten Menschenaffen leben in Kleinfamilien, sodass man annimmt, die frühen Menschen hätten nur zu ihren direkten Verwandten eine engere Beziehung gehabt.
Vor ungefähr 100 000 Jahren, beobachtete wahrscheinlich ein Mensch wie Wölfe Rentiere jagten, die damals in grossen Herden über ausgedehnte Graslandschaften zogen. Die Wölfe arbeiteten ähnlich der Hütehunde von Schäfern. Mal umkreisen die Wölfe die Herde, dann trieben sie sie zusammen. Sie kennen jedes Tier und seinen Gesundheitszustand. Ist es Zeit, holen sie ein schwaches Rentier heraus, so wie heute die schlachtreifen Nutztiere in den Schlachthof geführt werden.
Mensch und Wolf machen gemeinsame Sache - Der Wolf wird zum Hund
Für den frühen Mensch war es schwer, ein Rentier zu erbeuten. Ob der Wolf auf den Mensch zukam, oder umgekehrt, ist nicht sicher. Wahrscheinlich kamen die Wölfe zuerst ans Lagerfeuer und die Menschen warfen ihnen Knochen und Essensreste zu. Oder die Menschen gingen zum Wolfsbau und raubten Jungtiere. Jedenfalls taten sie sich zusammen, der Mensch mit seinem Hirn, der Wolf, mit Zusammenarbeit, Schnelligkeit und Jagdinstinkt. Sie jagten und assen zusammen, passten sich aneinander an. Der Wolf wurde zum Hund, der Mensch lernte, dass Zusammenarbeit gut ist. Und sie gingen fortan zusammen durch die Welt. Man spricht von Co-Evolution. Vor etwa 10 000 Jahren erfanden die Menschen den Ackerbau, die Landwirtschaft. Es gab aber auch Orte, wo die Menschen Naturmanager und Landschaftspfleger blieben, etwa in der Prärie von Nord Amerika. Dort weideten damals grosse Bisonherden. Hier jagten Wolf und Mensch weiterhin jeder für sich. Die Menschen aber schauten sich die Jagdkünste der Wölfe ab und gaben ihnen einen besonderen Platz in ihrer spirituellen Vorstellung von der Welt. Kweo der Wolf ist ein sehr wichtiges Geistwesen für die Hopi. Er führt, lehrt, benützt sein Wissen und seinen Verstand.
Jagd der Indianer im ursprünglichen, natürlichen System der Prärie
Riesige Herden von Bisons grasten auf den Prärien Nord Amerikas, bevor die US-amerikanische Regierung sie im 19. Jahrhundert per Regierungserlass zum Abschuss freigaben, um die Prärie zum Weideland für Rinder zu machen und unter Pflug zu nehmen und damit den Indianern die Lebensgrundlage zu nehmen. Die Bisons hatten keine Angst vor Wölfen, frassen ungerührt weiter, wenn Wölfe zwischen ihnen durch spazierten. Sie akzeptierten den Wolf. Sie wussten, dass wenn sie fortlaufen, die Schwachen, die Kälber hinterher rennen müssen, und dann verlieren sie mehr Herdenmitglieder und erschöpfen sich, als wenn sie die Wölfe, wie heute den Farmer, wenn er Schlachttiere aus den Herden nimmt, machen lässt. Die Natur ist haushälterisch. Die Wölfe laufen durch die Herde, suchen nach schwächlichen, von Parasiten befallene, Bisons, Kälber, die zu spät geboren wurden, um den Winter zu überleben. Wenn es Zeit zu fressen ist, die Welpen Nahrung brauchen, holen die Wölfe sich das vorher ausgewählte Tier. Die Bisonherde bleibt so gesund. Es ist ein grosser Unterschied, ob die Natur sich seit Jahrhunderten selbst reguliert oder ob der Mensch einfach ortsfremde Wölfe ungewisser Herkunft einwandern lässt.
Indigene Naturmanager als Vorbild nehmen
Die Jäger der Indianer zogen sich Wolfsfelle über und töteten schnell und schmerzlos einen grossen, fleischigen Bison. In anderen Kulturen führte die Einführung von Ackerbau führte zu Krieg, degradierten Böden und dem Zusammenbruch von Zivilisationen. Viele frühe Hochkulturen gingen durch nicht nachhaltige Landwirtschaft zugrunde, meist ausgelöst durch irgend eine Form von Spekulation, also Befriedigung der Gier nach Gewinn von Einzelnen, der politischen Eliten auf Kosten von anderen, meist der Landbevölkerung. Damit aber auch der Lebensmittelversorgung von allen und der Bodenfruchtbarkeit. Blühende Landschaften wurden zu Wüsten. Deshalb ist die Erforschung des Naturmanagements indigener Völker wichtig für die zukünftige Landwirtschaft. Wir können uns eine Wirtschaftsweise nicht mehr leisten, die wie in einem Bergwerk herausholt aus der Natur und gleichzeitig Abfälle produziert, etwa zu viel Gülle, wenn wir als Menschheit überleben wollen bei Klimakrise, Biodiversitätsverlust, endlichen Ressourcen, Umweltschäden.
Auch die Kulturlandschaft ist ein Ökosystem
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