Linolschnitt

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Thursday, February 9, 2023

Bericht Ernährungssystemgipfel vom Februar 2023

Gute Ernährung für die Welt und die Schweiz

Agrar- und Ernährungspolitik in der Schweiz für die  Nachhaltigkeitsziele der UNO


"Ernährung und Musik versuchen eine Brücke zu bauen zwischen Tradition, Gegenwart und Zukunft", sagt die Alphornbläserin Eliana Burki, Gestalterin des musikalischen Rahmenprogramms.

Ein Bürger:innenrat und ein Expertengremium präsentierten am Ernährungssystemgipfel in Bern Empfehlungen für eine nachhaltige Ernährungspolitik, die Umwelt, Klima und Gesundheit schont. Der Schweizer Vorsitzende des UNO-Expertengremiums referierte über die globale Sicht. Das Mitglied der Schweizer Regierung,  Bundesrat Guy Parmelin sprach davon, wie diese Empfehlungen mit der Vision für die Schweizer Agrarpolitik der Zukunft übereinstimmten. Ab 2030 soll die Schweizer Agrarpolitik zur Ernährungspolitik werden. Die Landwirtschaft und die Agrarwissenschaften fehlten. 

Der Ernährungsgipfel bildete den Abschluss der nationalen Dialoge zur Ernährungszukunft der Schweiz im Rahmen des Aktionsplan 2021-25 der Strategie Nachhaltige Entwicklung des Bundesrats. Gastgeber waren das Sustainable Development Solutions Network Switzerland SDSN, die Schweizer Abteilung für die Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen UNO, die Universität Bern und die Nichtregierungsorganisation Biovision. Es wird immer schwieriger für die Welt, diese viel früher vereinbarten Ziele der Nachhaltigkeit (SDGs) bis 2030 zu erreichen, weshalb zur Eile gemahnt wurde. Allerdings scheint mir das ein Problem der um sich greifenden Politikbewältigung durch das Setzen von Zielen, die zuerst in weiter zeitlicher Ferne sind, dann immer näher rücken. Dabei kommen dann auch noch ungeahnte Krisen dazwischen, sodass es immer schwieriger wird diese Vorhaben umzusetzen.

Ungewohnte Sprache und Begriffe


Für das Verständnis dieser Veranstaltung müsste eigentlich viel erklärt werden, Begriffe, internationale Organisationen, Rahmenbedingungen bis hin zur veränderten Weltlage mit Krieg, drohenden Energie- und Nahrungsmittelknappheiten. Das würde den Rahmen dieses Berichts sprengen. Ich weise auf die entsprechenden Internetseiten hin. Bürger:innenrat hört sich vielleicht an, wie Arbeiter und Bauernrat, womöglich noch mit extremistisch-feministischem Einschlag. Es handelt sich dabei aber um eine sozialwissenschaftliche Methode, bei der zusammen mit Laien und Betroffenen Lösungen erarbeitet werden für ein gesellschaftlich kontrovers diskutiertes Thema. Ich kam mit mehreren Mitgliedern des Bürger:innenrats an der Tagung ins Gespräch und es waren alles sehr tolle Menschen, mit grossem, positivem Interesse an der Landwirtschaft. Ich gendere im Übrigen selbst recht viel hier, weil es praktisch ist beim Schreiben, nicht aus politischen Gründen. 

Am Nachmittag bestand die Möglichkeit an einem Workshop, genannt Impact Sessions teilzunehmen. Es gab deren zwölf, die zur gleichzeitig statt fanden, drei für französisch sprechende Teilnehmende, die anderen deutschsprachig. Ich wurde eingeteilt in Kompensation & Förderung der Landwirtschaft. Das gab Gelegenheit zu erfahren, wie eine von einer speziell ausgebildeten Person geleitete Diskussionsgruppe mit einer partizipativen Methode sich lösungsorientiert austauscht. Ich konnte meine eigenen Ansichten gut einbringen, etwa, dass die Agrar- oder Ernährungspolitik liberal sein sollte, also ohne, dass Menschen vorgeschrieben wird, was sie essen sollen und ohne Zwangsumerziehung der Landwirt:innen. Auch sagte ich, dass ich mir inklusive Agrarpolitik wünsche. Das bedeutet, dass zum Beispiel jemand mit einer Einschränkung, auch mit einer sogenannt geistigen Behinderung, seinen Landwirtschaftsbetrieb führen kann und dafür die nötige Unterstützung bekommt. Erst bei der Recherche zu diesem Artikel stellte ich fest, dass das auch in den Nachhaltigkeitszielen der UNO steht.

Junge engagierten sich stark - Ihre Meinung war gefragt


Für den Bürger:innenrat wurden 80 Personen mit unterschiedlicher Bildung, Berufen, sozialer Schichtzugehörigkeit und Alter ausgewählt, die einem Querschnitt der Schweizer Bevölkerung entsprechen sollten. Dabei wurden allerdings absichtlich besonders viele junge Menschen berücksichtigt. Schliesslich betreffen sie politische Entscheide, deren Auswirkung in der Zukunft liegen, mehr an.  Der Co-Präsident Schweizerische Arbeitsgemeinschaft der Jugendverbände SAJV betonte, dass die Mitwirkung von Jungen am Bürger:innenrat belegt habe, dass, wenn Junge aufgefordert würden sich einzubringen, sie sehr viel leisten würden. Er sagte:


"Junge haben sonst wenig bis gar nichts zu sagen. Im Bürger:innenrat waren sie überdurchschnittlich vertreten und kamen auf 27 Ideen." 


Warum keine Jungen aus der Landwirtschaft, etwa Berufschüler:innen, eingeladen wurden, bleibt offen. Angesichts der Umwelt- und Ernährungsprobleme global und lokal, wäre es gut gewesen, wenn die junge Leute, die den von allen angestrebten Wandel im Wirtschaftssystem bewerkstelligen müssen, auch mitgemacht hätten. So hätten sie, die die Landwirtschaft für nachhaltige Ernährung umsetzen müssen, auch partizipative Methoden kennen zu lernen, damit man sie dann auch in der landwirtschaftlichen Bildung anwenden kann. Junge aus der Landwirtschaft hätten auch Fachwissen einbringen können. In der Schweiz sind viele Ziele für 2050 gesetzt. Das bedeutet, dass diejenigen, die dann die landwirtschaftlichen Betriebe führen werden, heute Kleinkinder sind, manche vielleicht noch gar nicht geboren.

Unberücksichtigt blieben an der Tagung auch die Agrarwissenschaften, die auf Naturwissenschaft und anerkannten ökonomischen Theorien beruhen.  Vor Jahrzehnten war auch ich Abiturientin ohne irgendeinen Bezug zur Landwirtschaft, die sich für die Welternährung einzusetzen wollte, als es darum ging Studium und Beruf zu wählen. Ich begann eine Landwirtschaftslehre und wusste, dass ich im Studium zuerst Chemie, Physik, Zoologie, Anatomie, Botanik, Mathematik, Statistik und Volkswirtschaftslehre von Grund auf lernen musste, Prüfungen ablegen, Arbeiten schreiben, bevor ich die komplexen Zusammenhänge von Anbau, Handel, Tierhaltung, Finanzierung der globalen Getreideflüsse an der Warenterminbörse, überhaupt verstehen würde. Besonders wichtig auch: Einkommen für Diejenigen, die den Boden bearbeiten und die Tiere pflegen und Betriebswirtschaft. 

Naive Forderungen an den Bundesrat


Nie wäre ich auf die Idee gekommen, der Landesregierung ohne dieses von mir in den nächsten Jahren  hart erarbeitete Fachwissen und Praxis, derart vehemente Forderungen an die Landesregierung zu stellen, wie dies am Ernährungsgipfel geschehen ist. 


Ein Zeichner brachte Highlights der Vorträge und Diskussionen zu Papier


So sagte eine Person, sie sei für die Einführung von Agrarzöllen zur Verteuerung der Nahrungsmittelimporte, ohne einzugehen auf den bestehenden Grenzschutz, auf die Wirkung solcher Zölle auf andere Länder, auch arme, die auf den Export von Agrarrohstoffen angewiesen sind. Weder wurde die Welthandelsorganisation WTO erwähnt, die Zölle und andere Handelsbeschränkungen, die zu unfairem Wettbewerb führen, vermeiden will. 

Der Schweizer Weg der Agrarpolitik zur nachhaltigen Ernährung


Bundesrat Guy Parmelin, der in der Schweizer Regierung zuständig ist für Wirtschaft, Landwirtschaft und Bildung, nahm die Berichte mit den Empfehlungen von Bürger:innenrat und Expertengremium entgegen und sagte, er habe sie schon gelesen, und zwar mit Interesse. Viel davon sei bereits enthalten in den Plänen für die zukünftige Schweizer Agrarpolitik, etwa in AP22-Mini. (Damit die typische Sondersprache der Schweizer Agrarpolitik auch einmal vorkommt.) 

Bundesrat Guy Parmelin spricht zur zukünftigen Agrar- und Ernährungspolitik der Schweiz.



In einem ersten Schritt sollen ohne grundlegende Veränderungen die wichtigsten Anliegen geregelt werden:
  • Bessere soziale Absicherung der Bäuerinnen
  • Fokus auf mehr Nachhaltigkeit, Klima- und umweltfreundliche Produktion
  • Reduktion der Nährstoffverluste und des Einsatzes von Pestiziden

Ab 2030 in der Schweiz Ernährungspolitik statt Agrarpolitik


Die anstehende neue Agrarreform soll, wie schon früher, in Schritten erfolgen, sagte Parmelin. Ab 2030 sei dann allerdings ein tiefgreifender Systemwechsel vorgesehen, von der Agrarpolitik zur Ernährungspolitik. Zur Ernährungspolitik kann ich leider auch nach dieser Tagung nichts sagen. Das muss ich zuerst recherchieren, was damit gemeint ist, und ob es gut ist. Ein Expertengremiums von 40 Wissenschaftler:innen lieferten ebenfalls einen Bericht ab zum Thema Ernährungspolitik der Zukunft. Der Leiter, Lukas Fesenfeld vom Oesger Center der Universität Bern, sagte, der Wechsel zur Ernährungspolitik sei notwendig, weil Agrarpolitik zur Politisierung geführt habe, also zu den polemischem Kriegsgeschrei der sogenannt extremen Volksinitiativen der letzten Jahre. 

Der Ansatz, den der Bundesrat vorstellte, entspricht der Vorgehensweise für den Wandel zur weltweiten Sicherung der Ernährung, wie sie Bernard Lehmann, Vorsitzender des Expertengremiums für Ernährungssicherheit CFS (United Nations Committee on World Food Security) der Vereinten Nationen UNO, früher ETH Professor für Agrar- und Umweltökonomie und ehemaliger Direktor des Schweizer Bundesamts für Landwirtschaft.

Ein Schweizer an bedeutender Position für die Welternährung


Damit stellt die Schweiz in einer Zeit schwerster weltweiter Krise eine Person in führender Position zur UNO, der Vereinigung der Staatengemeinschaft. Man fühlt sich erinnert an die Zeit nach übrstandenem Zweiten Weltkrieg. Auch da wurde ein Schweizer in die internationalen UNO Ränge berufen: Friedrich Traugott Wahlen, der die Nahrungsmittelversorgung im Zweiten Weltkrieg mit dem nach ihm benannten Plan und die geistige Landesverteidigung wider dem faschistischen Gedankengut im Inneren, leitete. Heute bedrohen die Welt Klimawandel, Schulden-, Wirtschafts- und Lebenshaltungskosten-Krise die Weltgemeinschaft. Es tobt ein unerhörter Krieg in der Ukraine. Die Ukraine ist eines der wichtigsten Getreideanbaugebieten mit den besten Böden der Welt. In der Donbas-Region verseucht kaputt geschossenes Kriegsmaterial diese Böden. Sie gehören internationalen Getreidehandelsgesellschaften aus den sogenannten Agrarexportländern, USA, Kanada und andere. Immerhin ist es gelungen, dass die Ernte heraus gebracht werden konnte. Dies nur zur Verdeutlichung, dass sich die Welt in einer ausserordentlichen Krise der Ernährungssicherheit befindet. Nach gerade einmal überstandener Pandemie trifft die Not die armen Länder besonders hart. Viele dieser Länder beziehen Getreide und Ölsaaten aus der Ukraine und Russland.


Bernard Lehman vertrat die globale Sicht

Lehmann stellte am Ernährungsgipfel zuerst die Institutionen der UNO vor, die daran arbeiten, dass das Essen auch zu den Menschen kommt in den armen Länder, etwa in Afrika, wo die Landwirtschaft zu schwach ist, um die Bevölkerung zu versorgen. Dies sind die Welternährungsorganisation FAO (Food and Agriculture Organisation), das Committee on World Food Security CFS, das Lehmann mit einem Parlament verglich und dem er selbst vorsitzt, das World Food Programm WFP, das die Nahrungsmittelhilfe verteilt sowie der Agrarfonds IFAD (Internationals Fund of Agricultural Development) für die Finanzierung der Nahrungsmittelhilfe. Lehmann betonte, dass den bedürftigen Menschen vor allem das Geld fehlt, die Nahrungsmittel zu kaufen. Die UNO setzt auf Agrarökologie und das Modell der fünf Schritte von Gleissmann (2016), um die Nachhaltigkeit in Landwirtschaft und Ernährung zu erreichen. 


Bernard Lehmann erklärt die fünf Schritte zur Nachhaltigkeit nach Gleissman (2016).

Nach dem vorgestellten Schema soll die Landwirtschaft zuerst die konventionellen Möglichkeiten der Steigerung der Effizienz nutzen, also zum Beispiel weniger Pestizide, Nährstoffe, besseres Saatgut, bessere Produktionstechnik, damit weniger teure und umweltschädliche Inputs und Ressourcen verbraucht werden. Dieses Weniger sei dann auch mehr für die Umwelt. Mit der Zeit soll sich ein Bewusstsein entwickeln, dass es einen Systemwechsel braucht. Auf der höchsten Stufe dann, soll alles gerechter werden. Ich sehe das umgekehrt. Der Rechtsstaat und die Demokratie gelten von Anfang an. Werden sie missachtet, entsteht Ungleichheit, Armut und Rezession. Totalitarismus ist nicht auf autoritäre Regierungssysteme beschränkt. Es gibt auch totalitäre Wirtschaft, oft Neoliberalismus genannt. Sie hat beigetragen zum Aufkommen des Antisemitismus und der Nationalsozialisten in Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg, als es enorme Kriegsschulden gab. Die totalitäre Wirtschaft kam nach einem Essay von der Journalistin Dorothy Thompson (1940) in Foreign Affairs aus den USA. 

Was die Wissenschaft sagt


In der Wissenschaft gibt es immer verschiedene Meinungen, Richtungen. Man glaubt sogar, dass gerade die Debatte der Widersprüche Erkenntnisse bringt. Ich beurteile es als unwissenschaftlich, wenn nur eine Arbeit, oder deren wenige, heran gezogen werden. Der Bericht der wissenschaftlichen Experten zur Ernährungspolitik beruht unter anderem auf einer Delphi-Studie.  Das ist eine sogenannte strukturierte Umfragemethode, um Expertenwissen zu sammeln und auszuwerten. Ich habe als Forscherin in Tänikon (heute Agroscope) in den 1990er Jahren ein EU Forschungsprojekt eingereicht mit einer Delphi-Studie. Dieses Forschungsprojekt wurde abgelehnt, mit Begründung, dass es zu wenig wissenschaftlich sei, eine vorgegebene Umfrage-Methode anzuwenden. Das Besondere an Delphi Studien gegenüber gewöhnlichen Umfragen ist, dass den Experten die anonymisierten Antworten der anderen Befragten gesagt werden, also ohne, dass sie wissen, wer was gesagt hat, und sie dann nochmals Gelegenheit bekommen, ihre eigene Meinung kundzutun. Das erfolgt in mehreren Schritten.

Hard Talk unter Politikern


Gegen Schluss der Tagung. am Podium der Nationalrät:innen, das als Runder Tisch deklariert war, knallten die unterschiedlichen Positionen in gehässigem Tonfall aneinander. Vielleicht liegt hier der Grund, warum die Landwirtschaft kaum vertreten war an der Tagung. Nationalrat Andreas Aebi (SVP, Kanton Bern) begann die Diskussion, indem er erwähnte, dass ein Milchviehbetrieb von einer Zwangsversteigerung bedroht sei. Die Parlamentsabgeordnete der Sozialdemokraten und der Grünliberalen Partei hackten darauf sehr aggressiv ein auf den bäuerlichen Vertreter und praktizierenden Landwirt. Auf die Frage, wer an diesem Runden Tisch für eine nachhaltige Agrar- und Ernährungspolitik sei, hob auch Aebi die Hand, denn es ist für alle klar, auch wenn die Landwirtschaft betroffen ist von nachteiligen Auswirkungen des Klimawandels und der gegenwärtigen Umweltkrise, sie verursacht Umweltschaden. Welche Herausforderungen zu meistern sind, zeigt eine weitere Folie des Schweizer Experten für Welternährung bei der UNO:





Für mich brachte der SDSN-Ernährungssystemgipfel viele Ideen für weiterführende Themen, etwa die Frage um die Betrachtung der ganzen Wertschöpfungskette und auch der nachhaltigen Ernährung, also, was und wie man isst. Das Süsskartoffelpüree mit Sauce zum Mittagessen, gekocht nach nachhaltigen Kriterien, wurde im Stehen und Gehen serviert und gegessen. Ich habe keine Informationen dazu, ob die Süsskartoffeln in der Schweiz angebaut wurden.



 













 




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